Alternative Prüfungsformate für zeitgemäßes Lernen
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Raum
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Thema dieser Lerneinheit
Prüfungsformate sind stark vom Raum bestimmt, in dem die Prüfung abgelegt wird. Auf der einen Seite kann dieser Raum ein festgelegtes Prüfungssetting vorgeben, er kann aber andererseits auch eine freie Wahl des Prüfungssettings erlauben. In diesem Audio-Interview wird der Schieberegler und damit verbundene Änderungen an Prüfungen vorgestellt.
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Jöran Muuß-Merholz: Wir sprechen über das Verhältnis von Raum und zeitgemäßer Prüfungskultur, und zwar mit Lars Zumbansen. Er ist didaktischer Leiter am Gymnasium Harsewinkel, Lehrer für Deutsch und Kunst, Autor und Fortbildner. Wir steigen sofort ein: Es gibt den Regler ‘Raum’ und der liegt so zwischen den Polen ‘festgelegt’ und ‘frei wählbar’. Magst du beschreiben, was sich denn da verbirgt, vielleicht auch mit einem Beispiel?
Lars Zumbansen: Ja, ich denke, als Beispiel kann man sehr gut, denke ich mal, die Coronakrise anführen, wo ja insbesondere so das Kontrollregime von Prüfungsräumen in besonderer Weise eher zutage getreten ist. Gerade, wenn man darüber nachdenkt, wie jetzt der häusliche Arbeitsplatz auszuspähen bzw. abfilmen ist. Es gab ja dazu auch eher regelrechte Geschäftsmodelle wie das Proctoring, so eine Totalüberwachung der Studierenden oder der Schüler*innen, und all das wurde dann aufgefahren, um eben die Eigenständigkeit ohne externe Hilfe sicherzustellen, und so ein Prüfungssetting, wenn man so will, ist ja etwas, was man natürlich auch aus dem Regelunterricht kennt, es ist vielleicht aber nicht mehr so auffällig, aber auch klassische Prüfungsräume, und da sind wir jetzt ja ganz links in dem Bereich, sind hier eigentlich so was wie Panoptiken, also Raumsettings, die so einen permanenten Sichtbarkeitszustand der Prüflinge gewährleisten. Da wären wir also ganz, ganz links, wenn man so will, im traditionellen Prüfungssetting.
Jöran Muuß-Merholz: Wenn wir jetzt sagen, wir verändern was am Raum in der Gesamtkonstruktion, wie verändert sich dann das Lernen insgesamt und wie weit ist das ein Beitrag, vielleicht, für zeitgemäße Bildung?
Lars Zumbansen: Vielleicht muss man erst mal darüber nachdenken, wie Prüfungssituationen eigentlich Räume definieren, nämlich als reizarm. Also Räume ohne Ablenkungspotenziale, die Schüler*innen eben in ihrer Konzentration isolieren, die gleichzeitig aber natürlich auch einen Austausch, der als Betrugsversuch gilt in einer Prüfungssituation, unterbinden, und genau dann eigentlich zu einer Verinselung von Schüler*innen führen, wenn das eben über Raumsettings nicht möglich ist oder über entsprechende Tischabstände, dann ist das ja möglich über Trennwände, die man dann einfach auf den Platz stellt, um dann so einen Doppeltisch zu halbieren, das kennt man alles. Aber das ist nicht zeitgemäß! Zeitgemäße Lernsettings definieren sich eigentlich darüber, dass man reizvolle Räume schafft, die Schüler*innen ja gerade zusammen bringen, die Dialogizität ermöglichen, aber eben auch Anlässe für Gestaltung, für gemeinsame Gestaltung, liefern. Ein niedrigschwelliges Beispiel könnte hier etwa so etwas sein, was ich mal so nenne als „Demokratisierung von Sammlungen“. Also, wir kennen das ja alle, in allen Schulen, dass gerade die MINT-Fächer, aber auch Musik, Kunst und Sport über Sammlungen verfügen, ein ganzes Arsenal von Gerätschaften, Materialien, die in irgendwelchen, ja, wenn man so will, Regalen stehen, meistens auch genau beschrieben, dass man weiß, wo etwas sich befindet, und häufig von fungiert der Lehrer so als Flaschenhals um den Schülern eben diese Materialien nahezubringen von der „Hinterbühne“ der Sammlung auf die „Vorderbühne“ des Unterrichtsraumes. Und hier müssen wir mal drüber nachdenken: Kann man das nicht einfach öffnen? Und es gibt genug Beispiele dafür, dass man zum Beispiel Laborplätze etwa in der Chemie – natürlich nach einer verantwortungsvollen Einweisung der Schüler*innen – ja auch buchen kann, zum Beispiel über ein LMS. Oder, ich habe das im Kunstunterricht auch schon ausprobiert, dass ich den Schülern eigene Atelierplätze zur Verfügung gestellt habe, die sie eben zu den Zeiten, die sie für sinnvoll erachten, um an ihrem Projekt weiterzuarbeiten, eben auch nutzen konnten, die sie selbst auch „bespielen“ konnten, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie konnten sich dann dort auch das Material suchen, was sie für die Realisierung ihres Projektes brauchten, ob das jetzt im 2D-Bereich irgendwelche Pinsel, Farben oder sowas sind, wenn das im Bereich von Modellierung der Fall ist, zum Beispiel Möbeldesign, dass man Plastilin vorhält oder Legosteine vielleicht auch, einfach um so nen niedrigschwelligen, reizvollen Zugang zu bieten, um Ideen unmittelbar visualisieren zu können. Ja, das wäre so dieser eine Punkt. Und ich glaube, ein zweiter Punkt ist, dass man auch an das Ende gucken muss, wenn wir über Räume sprechen, dass wir immer auch darüber nachdenken müssen, wenn wir Lernprodukte haben, dass diese auch in authentischen und öffentlichen Resonanzräumen zur Verfügung gestellt werden, also sichtbar gemacht werden. Ich habe hier in den Links zum Beispiel ein Beispiel unserer Schule einer Online-Galerie, wo Schüler*innen eben eines Kunstkurses ihre Kunstprojekte vorstellen und auch mit kleinen Audiokommentaren versehen und ihre Intention da zu präsentieren, und das ist glaube ich ganz wichtig, um die Wertigkeit eben auch von Lernen räumlich zu dokumentieren.
Jöran Muuß-Merholz: Ich fand das jetzt sehr eindrücklich, gerade die extreme Gegenüberstellung, wo man sagt, es ist ein fast klinisch reiner Raum und ein Raum, in dem, vielleicht im übertragenen Sinne, tatsächlich noch Späne fliegen sozusagen. Wenn man jetzt nicht vielleicht einen Rundumschlag machen will, sondern den Regler halt ein Stück weit nach rechts schieben will, wie man anfangen?
Lars Zumbansen: Ja, vielleicht überlegen wir uns dann einfach mal so eine klassische Klassenarbeit oder Klausursituation, die einfach dann in der Wahlfreiheit des Ortes bestehen kann, das heißt, der Prüfling, dem wird nicht mehr gesagt: Du musst heute in 148 b erscheinen zu deiner Prüfung, sondern: Du kannst entscheiden, ob du diese Klausur Zuhause absolvierst oder in der Schule. Also, ich habe so eine Situation auch mal durchlaufen mit meinen Schüler*innen, mit einer Open Book Klausur hatten die Schüler die Wahl, sie konnten tatsächlich Zuhause schreiben oder sich einen Raum mieten in der Schule, das war ja in der Coronakrise möglich, als die Klassenräume leer standen, dann haben wir das Study Rooms genannt: Die Schüler konnten über das Buchungstool bei uns in der Schule dann diesen Raum für sich reservieren, das war entweder ein kompletter Klassenraum oder das war ein Arbeitsplatz in der Mediothek, so ähnlich wie ein Präsenzplatz in der Unibibliothek, das muss man sich das so vorstellen, und Schüler hatten dann eben die Möglichkeit, dann dort zu schreiben. Sie konnten also ihren Arbeitsplatz, wenn man so will, auch atmosphärisch selbst herrichten. Einige haben dann die Kaffeemaschine in direkter Schlagdistanz zum Schreibgerät positioniert, andere haben die ganze Zeit eine musikalische Untermalung gehabt beim Arbeiten. Und da sieht man schon sehr schön, dass wir auch eigentlich nicht definieren können, was eine konzentrierte Atmosphäre ist, sondern jede*r Schüler*in hat so ein eigenes Setting und eine eigene Wohlfühl-Atmosphäre, die dafür da sein soll, wirklich bestmögliche Leistung zu erbringen, ohne Druck. Und ja, das ist etwas, was aus meiner Sicht funktioniert hat. Andere Schüler haben sich aber ganz bewusst für den Raum ‘Schule’ entschieden, haben gesagt: Nein, Zuhause habe ich einfach so ein großes Ablenkungspotential: Schwester, Kinder etc., ich möchte wirklich in den Raum ‘Schule’, weil: da werde ich nicht abgelenkt, da kann ich mich voll und ganz auf die Sache konzentrieren.
Jöran Muuß-Merholz: Wo du das Beispiel Bibliothek gebracht hast, das erinnerte mich: Ich hab mal recherchiert, dass tatsächlich in öffentlichen Bibliotheken auch die Frage nach Räumen zum Arbeiten und Lernen zugenommen hat, wo man ja sagen könnte: Jetzt braucht man immer weniger ein bestimmtes Regal mit einem bestimmten Papier, mit digitalen Möglichkeiten ist man unabhängiger. Aber tatsächlich gibt es eine höhere Nachfrage nach konzentriertem Raum. Nehmen wir an, jetzt habe ich so bewusst die Bereitschaft und will den Regler ein Stück nach rechts bewegen, habe von dir eine Anregung gekriegt, wie ich anfangen kann: Was gibt es typischerweise dann für Schwierigkeiten oder vielleicht Einwände, die mir entgegengebracht werden?
Lars Zumbansen: Naja, ein Haupteinwand ist sicherlich immer die nicht zu garantierende Eigenständigkeit der Schüler, wenn man so will. Wenn ich nicht mit meinem Blick oder durch meine kontrollierende Anwesenheit als Lehrkraft garantieren oder überprüfen kann, ob der Prüfling wirklich ganz bei sich ist oder irgendwie doch externe Hilfe hat, ja, also – dahinter schwingt ja so diese durchaus berechtigte Kritik des Kontrollverlustes. Also, ich bin nicht mehr Herr über die Situation, ich muss stattdessen eigentlich meinen Schülern vertrauen. Und da kann man natürlich sagen: Ja, das ist schwierig, manchen Schülern kann man vertrauen, ich hab ja Erfahrung, aber ich glaube, dahinter steht die Idee, dass man komplett über Aufgaben auch anders nachdenken muss, und da sind wir ja vielleicht auch schon automatisch bei anderen Schiebereglern. Man sieht eben, dass Raum auch natürlich damit interdependiert und, natürlich, eine gute Aufgabenstellung macht das gar nicht möglich, dass man schummelt. Und in diese Richtung müssen wir denken.
Jöran Muuß-Merholz: Wir verweisen auf Thema Aufgabenstellung. Letzte frage an dich: Gibt es nochwas, was wir zu diesem Thema gesagt haben sollen, wenn das Video endet?
Lars Zumbansen: Ja, ich glaube, was ja ganz wichtig ist, das haben wir jetzt schon auch gesehen, dass wir, glaube ich, wegkommen müssen von so einem Raumverständnis, was Raum so als maximal physischen Container irgendwie begreift, sondern im Idealfall, wenn man das jetzt Richtung Schulentwicklung denkt, dann muss das ein relationaler Raum sein, ein Ergebnis sozialer Aushandlungs- und Gestaltungsprozesse, eigentlich, es geht also darum, wenn man so will, eine Vielfalt von Lernräumen den Schüler*innen zur Verfügung zu stellen und eben sie nicht zu exklusiven Zonen und Prüfungssälen verkommen zu lassen, die im schlimmsten Fall, und das hat man auch in der Coronakrise gesehen, Lernen unterbrechen oder, also, gerade dialogisches Lernen unterbrechen oder sogar verhindern. Jöran Muuß-Merholz: Ganz herzlichen Dank an Lars Zumbansen.
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Expertin und Experte
Lars Zumbansen ist didaktischer Leiter am Gymnasium Harsewinkel, Lehrer für die Fächer Deutsch und Kunst sowie Autor und Fortbildner.
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Der Schieberegler „Raum“
Klassischerweise finden Prüfungen in einer reizarmen, leicht kontrollierbaren Umgebung statt. Dabei werden die Lernenden verinselt, mit dem Hintergrund, die Eigenständigkeit sicherzustellen.
Reizvolle Räume sollen hingegen die Kreativität fördern und begünstigen im Idealfall die Zusammenarbeit. Der Raum kann das Lernen unterstützen, wenn die Prüflinge das Setting so gestalten, wie sie selbst es zur Umsetzung der Aufgabe benötigen. Eine Möglichkeit zum Nachjustieren des Reglers kann beispielsweise die freie Wahl des Prüfungsraums sein, denn die Lernenden haben sicher ein sehr individuelles Empfinden von konzentrierter Atmosphäre.
Kritikpunkte an nicht festgelegten Prüfungssettings lassen sich meist auf Angst vor Kontrollverlust und das Überdenken eigener Aufgabenstellungen zurückführen. Die Frage nach dem Raumverständnis sollte unbedingt bei der Schulentwicklung mitgedacht werden, damit eine Vielfalt von Lernräumen zur Verfügung stehen kann.
Enge Verbindungen gibt es hier zu den Schiebereglern Feedback und Material.
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Beispiele für den Unterricht
Hendrik Haverkamp hat für seine 8. Klasse gleich mehrere Schieberegler verändert, ausgehend vom Raum: Den Lernenden war es vollkommen frei gestellt, in welchem Raum sie ihre Prüfung schreiben. Durch die fehlenden Kontrollmöglichkeiten war aber auch die Wahl der Hilfsmittel vollkommen frei gegeben. Durch die Tatsache, dass die Lernenden ihre Klausur auch am Laptop erstellen sollten, konnten sie auch frei im Internet recherchieren. Letztendlich waren auch Absprachen untereinander vollkommen möglich und sogar erwünscht, sofern am Ende eine individuelle Abgabe erfolgte.
Anna Reuter nutzte für ihre13. Jahrgangsstufe einer berufsbildenden Schule eine kollaborative Klausur:
In vier Schulstunden wurden verschiedene räumliche Möglichkeiten angeboten. Darüber hinaus standen alle Materialien zur Verfügung und die Lernenden wurden in Lerngruppen unterteilt. -
Jetzt sind Sie dran
Nutzen Sie eine der Möglichkeiten, den Schieberegler zu verstellen:
- Nutzen Sie die Bibliothek oder den Kunstraum anstelle des Klassenraumes.
- Schreiben Sie im Sommer die Klausur im Freien!
- Fragen Sie Ihre Lernenden, wo sie die nächste Prüfung schreiben wollen, und wägen Sie die Optionen gemeinsam ab.
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