2.1 Der Medienbegriff von Shannon/Weaver I
2.2 Der Medienbegriff von Shannon/Weaver II
2.3 Der Medienbegriff von Marshall McLuhan
2.4 McLuhan: The Medium is the message
2.5 McLuhan: Cornflakes or Cadillacs
Website: | Open E-Learning-Center Niedersachsen (OpenELEC) |
Kurs: | Kompetenzen für das Unterrichten in der digitalen Welt |
Buch: | Modul 02 |
Gedruckt von: | Gast |
Datum: | Montag, 23. Dezember 2024, 03:22 |
Medienkulturgeschichte, -theorie und -ethik
Überblick über die Kapitel:
1.1 "Neue" Medien
1.2 Lösungen zum Quiz
1.3 Menschheits- und Medienkulturgeschichte
1.4 Medienkultur als Prozess
In diesem Modul blicken wir auf die Erfindungen von "Neuen Medien", denn irgendwann war jedes Medium einmal neu.
Doch wann war was?
Sie kommen nicht auf die Lösung? Dann lösen wir hier auf...
Das war Ihnen zu schnell? Oder zu blöd? Dann schauen Sie auf die nächste Seite.
ca. 40.000 v. Chr. – erste hoch entwickelte Sprache
ca. 4000 v. Chr. – erste Schrift
ca. 100 v. Chr. – Papier (in China)
ca. 400 – Gänsefeder als Schreibgerät
um 1450 – Buchdruck mit beweglichen Lettern
1837 – Telegraph (mit Morsezeichen)
1876 – Telefon
1888 – Film
1926 – Fernsehen (voll elektronisch)
1941 – Computer (programmgesteuert und binär)
Eine der Hauptfunktionen eines Mediums und ein "Grundzug der menschlichen Evolution" (Giesecke 1990) ist die Ausweitung bzw. der Ersatz von motorischen und psychischen menschlichen Fähigkeiten sowie von sozialen Institutionen.
Fünf Medienrevolutionen gelten dabei - je nach Theoretiker - für die Menschheitsgeschichte als besonders bedeutend:
Um sich die Zusammenhänge zwischen der Menschheitsgeschichte und der Medienkulturgeschichte zu verdeutlichen, stellen Sie sich bitte die Entwicklung des Rads vor:
Das einzelne Menschenleben ist in kulturellen Zyklen nicht selten ein zu kurzer Zeitraum, um sich der Tragweite bestimmter Re- oder Evolutionen bewusst zu werden. Wir sollten dies trotzdem immer versuchen.
Und dabei hilft uns die Medienkulturgeschichte. Sie schafft Klarheit, schärft unseren Blick für bestimmte wiederkehrende Muster und Strukturen, ordnet vermeintlich vollkommen Neues als prozesshafte Fortführung von Altem ein; sie hilft uns, das Beobachtete in Bezug zu seiner kulturellen Genese zu stellen und in seiner kulturellen Relevanz einzuordnen.
Um also die Auswirkungen der heutigen "digitalen Revolution" zu erkennen, zu verstehen und einordnen zu können, ist es hilfreich, den Blick über den eignenen Tellerrand hinaus zu werfen und sich - wenigstens in Ansätzen - zu vergegenwärtigen, wie Medien schon seit jeher die Welt und den Menschen in ihr verändert haben und wie Menschen auf Neue Medien reagieren... und das vielleicht ganz unabhängig davon, ob es sich dabei um ein Buch, einen Film oder das Smartphone handelt... oder eben um das Rad.
2.1 Der Medienbegriff von Shannon/Weaver I
2.2 Der Medienbegriff von Shannon/Weaver II
2.3 Der Medienbegriff von Marshall McLuhan
2.4 McLuhan: The Medium is the message
2.5 McLuhan: Cornflakes or Cadillacs
Bevor wir über Medienkulturgeschichte nachdenken, sollten wir erst einmal klären, was wir überhaupt unter einem Medium verstehen.
Eine weit verbreitetes Medienverständnis folgt folgender Definition:
Unter einem 'Medium' (lat. medius 'in der Mitte von, vermittelnd') versteht man eine vermittelnde Instanz in Form eines Übertragungskanals, über den ein Sender ein Signal bzw. eine Information an einen Adressaten übermittelt. Sofern die Übermittlung der Information nicht durch Störungen beeinflusst oder verhindert wird, ist der kommunizierte Inhalt unabhängig vom Medium, über das er transportiert wird. Das Medium verhält sich der Botschaft gegenüber also neutral.
Zur Verdeutlichung:
Stellen Sie sich vor, ein Sender möchte eine Information an einen Empfänger übermitteln. Das Medium als Übertragungskanal funktioniert nach dieser Annahme wie ein Transportband: Das, was man an einem Ende auf das Band legt, kommt unverändert am anderen Ende an.
Auf einem solchen Medienverständnis basiert das Shannon-Weaver-Modell, ein Sender-Empfänger-Modell benannt nach den amerikanischen Mathematikern Claude Shannon und Warren Weaver. Es geht davon aus, dass es keinen Unterschied mache, ob eine Information über "a pair of wires, a coaxial cable, a band of radio frequencies, a beam of light etc.“ (Shannon/ Weaver 1949, S. 34) übertragen werde: Die eigentliche Botschaft bleibe immer die gleiche.
Auch wenn uns das Medienverständnis von Shannon/Weaver zunächst als einleuchtend und praktikabel erscheint, darf es nicht unhinterfragt bleiben.
Denn: Shannon und Weaver waren Ingenieuere und als Mitarbeiter einer Telefongesellschaft vor allem an technischen Problemen der Signalübertragung interessiert. So widmeten Sie sich z.B. der Aufgabe, einen Weg zu finden, in Krisen- oder Kriegssituationen Nachrichten möglichst fälschungssicher zu übertragen. Im Vorwort weist Claude Shannon deshalb auf Folgendes hin:
"The fundamental problem of communication is that of reproducing at one point either exactly or approximately a message selected at another point. Frequently the messages have meaning; that is they refer to or are correlated according to some system with certain physical or conceptual entities. These semantic aspects of communication are irrelevant to the engineering problem. The significant aspect is that the actual message is one selected from a set of possible messages. The system must be designed to operate for each possible selection, not just the one which will actually be chosen since this is unknown at the time of design." (Shannon, Claude E./Weaver, Warren (1949): The Mathematical Theory of Communication. Urbana: The University of Illinois Press, S. 31.)
Hören wir Marshall McLuhan selbst, wie er in folgendem Video seinen Medienbegriff erklärt...
Medien vermögen es also, unser Denken, unsere Sicht auf die Welt, auf uns selbst und folgerichtig auch die Gesellschaft zu beeinflussen und zu formen.
Und tatsächlich war McLuhan fasziniert von der Idee, dass menschliche Gesellschaften entschieden durch den Einfluss der Medien geprägt werden und "jedes für eine Gesellschaft wichtige Medium eine spezifische Wirkung auf die Menschen und die Form des Zusammenlebens hat" (Krotz 2001, S. 64).
Gesellschaften, die über das Medium "Buch" verfügen, unterscheiden sich von nicht-literalen Gesellschaften, die an Gespräch und mündlichen Überlieferungen orientiert sind. Dabei ist es gesamtgesellschaftlich bzw. gesellschaftshistorisch nicht wichtig, was genau in dem Buch steht oder was mündlich am Lagerfeuer erzählt wird; wichtig sind die technischen Eigenschaften des einzelnen Mediums und die durch sie bestimmten Bedingungen medienvermittelter Kommunikation.
Vielleicht war gerade das der Grund, dass sich McLuhan nicht am Fehler des Schriftsetzers störte, der aus dem Buchtitel "The Medium is the Message" unbeabsichtigt das ironische "The Medium is the Massage" gemacht hatte. Vielmehr soll McLuhan laut gelacht und ausgerufen haben: "Lasst es so. Es ist großartig und genau richtig." Darüber hinaus war die Verballhornung des Zitats durchaus mit McLuhans Ansichten vereinbar, weshalb er sie prompt in seinen Ausführungen aufgriff:
Um seine These zu verdeutlichen, vergleicht McLuhan das Medium mit einer Maschine: Gesellschaftlich macht es keinen Unterschied, ob diese Maschine "cornflakes or Cadillacs" (McLuhan 1992, S. 17) produziere, wichtig sei in erster Linie, dass Maschinen überhaupt existieren. McLuhans medientheoretischer Verdienst ist also unter anderem, dass er das Erkenntnisinteresse vom Inhalt eines Medium auf dessen Form lenkte.
"In einer Kultur wie der unseren [...] wirkt es fast schockartig, wenn man daran erinnert wird, dass in seiner Funktion und praktischen Anwendung das Medium die Botschaft ist. Das soll nur heißen, daß die persönlichen und sozialen Auswirkungen jedes Mediums - das heißt jeder Ausweitung unserer eigenen Person - sich aus dem neuen Maßstab ergeben, der durch jede Ausweitung unserer eignenen Person oder durch jede neue Technik eingeführt wird. [...] Denn die 'Botschaft' jedes Mediums oder jeder Technik ist die Veränderung des Maßstabs, Tempos oder Schemas, die es der Situation der Menschen bringt. Die Eisenbahn hat der menschlichen Gesellschaft nicht Bewegung, Transport oder das Rad oder die Straße gebracht, sondern das Ausmaß früherer menschlicher Funktionen vergrößert und beschleunigt und damit vollkommen neue Arten von Städten und neue Arten der Arbeit und Freizeit geschaffen."
McLuhan 1992, S. 17f.
3.1 Eine medientheoretische Geschichte der Menschheit
3.2 "Maybe McLuhan was right"
3.3 Die digitale Revolution
3.4 Kleine Lernzielkontrolle gefällig?
Marshall McLuhan entwickelte aus seiner Medientheorie nichts weniger als einen medienkulturgeschichtlichen Erklärungsansatz für den Verlauf der Menschheitsgeschichte.
McLuhans Ausgangspunkt ist eine Epoche, in der Menschen in Stammesgesellschaften lebten. Sie kommunzierten vorrangig nur durch das Sprechen, dessen Inhalte sie mit den Ohren aufnahmen. Sie lebten als ganzheitliche, spontane und gefühlsbetonte Menschen in einer Welt als akustischen Raum (vgl. Krotz 2008, S. 259).
Die akustische Epoche endete mit der Erfindung des Alphabets und schließlich des Buchdrucks. Sprache, die bislang ausschließlich akustisch rezipiert wurde, konnte nun mit den Buchstaben des Alphabets visuell fixiert und dargestellt werden, denn "[...] so besitzt nur die phonetische Schrift die Macht, den Menschen aus dem Stammesdasein in die Zivilisation zu führen, ihm ein Auge für ein Ohr zu geben" (McLuhan 1962/1995, S. 33).
Aus dem akustischen Raum wurde so ein "visueller" (wir würden heute eher "verschriftlichter" sagen). Diese Verschriftlichung hatte jedoch auch Einfluss auf das Wesen des Menschen: Während er in der voralphabetischen Epoche noch ohne besonders ausgeprägten Individualismus war, ermöglichte ihm zuerst das Alphabet, insbesondere aber der Buchdruck, Sprache ohne interpretierende Instanz zu verarbeiten. Der Mensch war nicht länger darauf angewiesen, Sprache durch eine Autorität vermittelt zu bekommen, wodurch er seine Sichtweise individuell und unabhängig ausprägen konnte.
McLuhan wurde 1911, also zu einer Zeit geboren, in der die wirtschaftlichen und medialen Entwicklungen rasant fortschritten: Der Tonfilm wurde erfunden, der Telegraph verlor das Rennen gegen das Telefon, die ersten Radiosendungen gingen 'on air' und Henry Ford etablierte mit seinem T-Modell-Auto die serielle Massenproduktion.
McLuhan erlebt seine Zeit entsprechend als Epochenwandel, als das dritte Zeitalter elektronischer Medien. Er ist der Ansicht, dass dieses Zeitalter dem Menschen das zurückgibt, was mit Alphabet und Buchdruck verloren gegangen war, denn die elektronischen Medien fokussieren nicht nur den visuellen, sondern wieder wie einst die akustisch-taktile Wahrnehmung der Menschen. Nach Luhans Auffassung ermöglichen die technischen Innovationen des Fordismus, der Entfremdung und der Einschränkungen des visuellen Zeitalters zu entkommen und zu einer ganzheitlichen und harmonischen Lebensform zurückzufinden, nicht zuletzt deshalb, da die Automationstechnik im Stande ist, die bisherige Maschinen- und Fließband-Zivilisation zu überwinden (vgl. Krotz 2008, S. 260).
Dem Fernsehen kommt eine besondere Bedeutung in McLuhans Medientheorie zu. Warum das Medium, und nicht dessen Inhalt, die Botschaft ist, erklärt er einer Zuschauerin einer Talkshow. (Wenn Sie das Video ansehen, dürfen Sie übrigens trotzdem gerne auf dessen Inhalt achten.)
Das 21. Jahrhundert ist geprägt von Globalisierung - Wirtschaft, Politik, Kultur, Umwelt, Kommunikation, und ja, sogar die Vorstellung von Bildung ist zunehmend von internationaler Vernetzung und Globalisierung geprägt und hat einschneidende gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen zur Folge.
Marshall McLuhan erkannte das Potenzial der Medien zur planetarischen und dezentralen Vernetzung bereits Mitte des 20. Jahrhunderts. Mit Hilfe der Telegrafie, des Telefons, des Radios und des Fernsehens gelingt der Menschheit die Selbstausweitung auf globaler Ebene, während die elektronischen Medien gleichzeitig die Welt ins Wohnzimmer bringen und Kommunikation und Information auf einen Dorfmaßstab reduzieren.
Als Kind seiner Zeit sprach er insbesondere dem Fernsehen hiefür große Verantwortung und großes Gestaltungspotenzial zu:
"Nun sind wir imstande, nicht bloß amphibisch in getrennten und unterschiedlichen Welten zu leben, sondern pluralistisch in vielen Welten und Kulturen zugleich. Wir sind nicht mehr nur einer einzigen Kultur verpflichtet - an ein einziges menschliches Sinnesverhältnis gebunden, so wenig wie wir an ein einziges Buch oder an eine einzige Sprache oder an ein einziges technisches Verfahren gebunden sind. [...] Eine Aufgliederung des menschlichen Potentials in einzelne Kulturen wird bald ebenso absurd sein, wie es die Stoff- oder Fachspezialisierung geworden ist. [...] Sicherlich haben die elektromagnetischen Entdeckungen das simultane 'Feld' in allen menschlichen Bereichen wieder entstehen lassen, so daß die Menschenfamilie jetzt unter den Bedingungen eines 'globalen Dorfes' lebt. Wir leben in einem einzigen komprimierten Raum, der von Urwaldtrommeln widerhallt." (McLuhan 1962/1995, S. 38f.)
Tatsächlich haben 2019 Forscherinnen und Forscher des MIT versucht, Marshall McLuhans These "The Medium is the Message" statistisch nachzuweisen. Wenn Sie wissen wollen, warum Cristiano Ronaldo oder Angelique Kerber ohne die Erfindung des Fernsehens wahrscheinlich andere Berufe ergriffen hätten und was das mit McLuhan zu tun hat, sehen Sie sich das folgende Video der Forschergruppe an.
Direktlink: How the Medium shapes the message
Marshall McLuhan prägte den Mediendiskurs seit den 1960er Jahren bis zu seinem Tode im Jahr 1980. Entsprechend seiner Wirkungszeit fokussiert McLuhan vor allem das Fernsehen als neuestes Medium, wenngleich er mit seinem Ansatz des globalen Dorfes angesichts unseres Zeitalters der Digitalisierung erstaunliche Weitsicht bewiesen hat.
Auch dem italienischen Philosophen Luciano Floridi geht es um die Auswirkungen neuer Technologien auf unsere Gesellschaft, jedoch nimmt er - anders als McLuhan - in erster Linie deren Effekte auf das philosophische Selbstverständnis des Menschen in den Blick, das vor der Digitalisierung bereits drei Mal einem fundamentalen Wandel unterworfen war:
Namenspate der vierten Revolution ist Alan Turing. Er steht für das Zeitalter der Digitalisierung und für den Übergang der Menschheit von der Gutenberg-Galaxis McLuhans in die Turing-Galaxis der Digitalisierung, die uns "aus unserer privilegierten und einzigartigen Position im Bereich des logischen Denkens, der Informationsverarbeitung und des smarten Agierens" (Floridi 2015, S. 128) vertreibt.
"Wir sind nicht mehr die Herren der Infosphäre. Unsere digitalen Geräte führen immer mehr Aufgaben aus, die uns Denken abverlangen würden, wenn wir für sie zuständig wären. Einmal mehr waren wir gezwungen, eine Position preiszugeben, von der wir dachten, sie sei 'einzigartig' und komme allein uns zu. [...] Nach Turings bahnbrechender Arbeit haben die Computerwissenschaften und die mit ihr zusammenhängenden IKT [= Informations- und Kommunikationstechnologie] unser Verstehen nach innen wie nach außen nachhaltig beeinflusst. Sie erlaubten uns beispiellose Einsichten in natürliche und künstliche Realitäten und gaben uns die technischen Möglichkeiten zu ihrer Beherrschung gleich mit an die Hand. Und sie haben ein neues Licht geworfen auf die Frage nach uns selbst, darauf, wer wir sind, wie wir mit der Welt und zueinander in Beziehung stehen und somit auch, wie wir uns selbst begreifen. Wie schon die vorangegangenen drei Revolutionen beseitigte auch die vierte ein Missverständnis bezüglich unserer Einzigartigkeit [...]. Wir sind [...] informationelle Organismen (Inforgs), untereinander wechselseitig verbunden und gemeinsam Teil einer informationellen Umwelt (der Infosphäre), die wir uns mit anderen informationellen Akteuren gleichfalls logisch und selbstständig verarbeiten."
(Floridi 2015, S. 128f.)
Wenn Sie der Medientheorie von Marshall McLuhan bis hierher aufmerksam gefolgt sind, sollte es Ihnen kein Problem bereiten, sein untenstehendes Zitat in Ihrer Lerngruppe zu erläutern.
Geben Sie zu zwei anderen Erläuterungen Ihrer Teammitglieder konstruktives Feedback.
“It is impossible to understand social and cultural changes without a knowledge of the workings of media.”
Marshall McLuhan
4.1 Reflexe auf neue Technologien
4.2 Rules of mental hygiene
Quelle: Stiftung Warentest 10/1984;
www.atari-computermuseum.de
Es nimmt nicht wunder, dass Menschen auf Medien, die solche gesellschaftlichen Auswirkungen mit sich bringen können, skeptisch reagieren können.
1984 kam die Stiftung Warentest z.B. zu einem wenig optimistischen Urteil über "Heimcomputer", die sie eher als Spielzeug denn als sinnvolles Arbeitsgerät betrachteten. Entsprechend fielen die Testurteile aus.
Die Journalistin Kathrin Passig hat solche Reaktionen zusammengetragen und 2013 in ihrem Essay "Standardsituationen der Technologiekritik" und 2014 in einer überarbeiteten Version "Neue Technologien, alte Reflexe" verarbeitet.
Während sie 2013 nur pessimistische Reaktionsmuster aufzeigte, ergänzte sie später (2014) folgerichtig auch überzogen optimistische Reaktionsmuster. Beide jedoch durchziehen die Mediengeschichte der technischen Neuerungen wie ein roter Faden.
Kathrin Passig identifiziert 11 pessimistische Standardreaktionen, die immer dann zu beobachten sind, wenn ein neues Medium den Alltag des Menschen zu beeinflussen scheint.
Ordnen Sie zu: Welches Zitat passt zu welcher Standardreaktion?
Sie identifiziert 6 gebräuchliche optimistische Argumente, mit denen technische Neuerungen oft überzogen verherrlicht werden:
1. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, garantierte Redefreiheit
2. Weltfrieden
3. Lernen wird ganz einfach
4. Ende der Knappheit
5. Ende des Verbrechens
6. Überwindung des Todes
Wie die etlichen mediengeschichtlichen Exkurse gezeigt haben, reagieren Menschen oft unverhältnismäßig pessimistisch oder optimistisch auf neue Medien und Technologien. Kathrin Passig leitet aus den von ihr angeführten Reaktionen drei Regeln ab, die uns einen rationaleren Umgang mit neuen Technologien ermöglichen sollen.
Regel Nr. 1: Hände waschen
[...] Wenn Sie in irgendeinem Beruf arbeiten, in dem es wichtig ist, dass Sie neue Entwicklungen verfolgen und verstehen und in Ihre Arbeit integrieren – und davon gehe ich bei allen Anwesenden aus –, dann sollten Sie es sich zur Gewohnheit machen, Neues grundsätzlich auszuprobieren, auch wenn es auf den ersten Blick albern und nutzlos wirkt. Und das wird es. Ausprobieren ist wie das Händewaschen im Krankenhaus: Es ist lästig und man muss es immer wieder machen, einmal reicht nicht und einmal die Woche reicht auch nicht. Aber man muss es machen, denn wenn man diesen einfachen Schritt vernachlässigt, dann macht man dadurch die ganze gute Arbeit zunichte, die man ansonsten leistet. [...]
Regel Nr. 2: Keine Meinung über neue Technologien äußern, die man noch gar nicht ausprobiert hat
Mit „ausprobiert“ meine ich: dem Neuen eine ehrliche Chance geben, nicht nur mal im Vorbeigehen einen Blick drauf werfen und zwei Tasten drücken. Bei meiner Mutter und ihrem iPad hat diese Phase drei Monate gedauert. Das heißt: Nicht aktiv zu einer veränderungsresistenten Kultur beitragen, zum Beispiel indem man sagt: „Das brauch’ ich nicht. Das braucht doch keiner. Es lohnt doch gar nicht, sich damit auseinanderzusetzen.“ Wenn man nicht gerade Journalist ist, hat man meistens die Möglichkeit, über neue Entwicklungen einfach zu schweigen. [...] Wenn man routinemäßig Innovationen schlechtredet, die man noch gar nicht richtig ausprobiert hat, dann fördert man dadurch schlampiges Denken. Man fördert es im eigenen Kopf und man fördert schlampiges Denken in den Köpfen der Mitarbeiter, die sich anhören, wie man sagt: „Also, selbstfahrende Autos, der Blödsinn geht mir jetzt wirklich zu weit“, oder: „Coworking Spaces, wird schon wieder so was sein“. Man braucht gar kein neugieriger Early Adopter zu sein. Man muss nicht mal wie einer reden. Es reicht schon, wenn man nicht wie jemand redet, der sich für die Gegenwart nicht interessiert. Veränderungen sind immer komplex und wir müssen diese Komplexität entspannt hinzunehmen lernen. [...]
Regel Nr. 3: Laubhaufen anbieten
Damit meine ich: eine Umgebung schaffen, die es für einen selbst oder das eigene Unternehmen leichter macht, mit dem Neuen zu experimentieren. Es ist wie mit Igeln im Garten. Igel im Garten sind beliebt, aber wenn man einen haben möchte, geht man nicht auf die Suche nach einem Igel. Sie sind schwer zu finden, unangenehm nach Hause zu tragen, und am Ende will der Igel wahrscheinlich auch gar nicht bleiben. Wenn man jedoch eine igelfreundliche Umgebung schafft, kommen sie von allein. Für Igel ist diese Umgebung zum Beispiel ein Laubhaufen. Für die eigene Fähigkeit, sich an die Gegenwart anzupassen, mit der Gegenwart zurechtzukommen, heißt das, dass man das Experimentieren erleichtern muss.
Wir neigen dazu, in unseren Routinen festzustecken, und wir versuchen unser fehlendes Verständnis unserer Umgebung mit trägen Standardargumenten zu kaschieren. Wenn man es sich zur Gewohnheit macht, Neues auch dann auszuprobieren, wenn es sich unnütz oder lästig anfühlt, und wenn man seine Angehörigen und Mitarbeiter nicht aktiv vom Herumprobieren abhält, dann hilft das.
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AUFGABE:
5.1 Tokio Hotel-Angie I
5.2 Tokio Hotel-Angie II
5.3 Angie, Shannon/Weaver und McLuhan
5.4 Alles verstanden?
5.5 Unfreiwillige Popularität
5.6 Medienethische Perspektive auf vernetzte Öffentlichkeit
5.7 Cybermobbing
Zum Abschluss des Moduls wollen wir noch einen Blick auf Medienkultur und Medientheorie aus medienethischer Perspektive werfen. Hierfür widmen wir uns Angie, einem damals vielleicht 14-jährigen Mädchen, das 2007 unfreiwillige Berühmtheit erlangte, indem sie in Deutschland einen der ersten Shitstorms der damals noch jungen YouTube-Geschichte auslöste.
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AUFGABE:
Sehen Sie sich das folgende Video an.
Überlegen Sie, warum es solche Reaktionen hervorgerufen haben könnte.
Die Reaktionen auf Angies Video ließen nicht lange auf sich waren. Die Kommentarspalten füllen sich schnell mit ironischen, höhnischen, spöttischen, aggressiven und beleidigenden Bemerkungen und Kommentaren. Parodien wurden gedreht und online gestellt, Angies Video (mittlerweile) millionenfach gesehen und immer wieder geteilt.
Angie reagierte innerhalb weniger Wochen:
Lassen Sie uns nun Angie, Shannon/Weaver und McLuhan zusammenbringen:
Reflektieren Sie vor dem Hintergrund der verschiedenen Medienbegriffe die Ergebnisse Ihrer vorangegangenen Diskussion. Nutzen Sie die Hilfestellungen, wenn Sie diese benötigen.
Hilfestellungen:
"McLuhans entscheidende Erkenntnisse bestehen darin, dass 'der ‚Inhalt‘ jedes Mediums der Wesensart des Mediums gegenüber blind macht' (McLuhan 1964, S. 23) und dass insbesondere die Auffassung, Medien seien neutrale Werkzeuge zur Übertragung von Informationen, dazu führt, 'die Funktion der Form als Form zu übersehen' (McLuhan 1964, S. 406)." (Krommer 2017)
Welche Bedeutung hat vor diesem Hintergrund die Tatsache, dass Angie ihr Video auf YouTube gepostet hat?
Ein Shitstorm hätte Angie auch ereilen können, wenn sie das zweite, das „Ich-mag-Tokio-Hotel-nicht“-Video zuerst gepostet hätte. Woran liegt das?
Möglicher Lösungsvorschlag:
Wenn Sie bis hierhin noch nicht weitergekommen sind, dann helfen Ihnen sicherlich die Ausführungen Axel Krommers und die Analyse der Angie-Videos von Christian Kortmann in der Süddeutschen Zeitung.
Und? Bislang alles verstanden? Dann sollten Sie jetzt über diesen kurzen Ausschnitt aus der Serie "Mad Men" lachen ... nun ja ... zumindest wie Peggy milde schmunzeln können.
Mad Men (S01E06) Joan, Chefsekretärin einer männerdominierten US-amerikanischen Werbeagentur in den 1960er Jahren, eröffnet der neuen Sekretärin Peggy, dass diese (als erste Frau der Firma überhaupt) einen Werbeslogan für einen Lippenstift texten soll und darf, ... und zitiert dabei Marshall McLuhan.
Axel Krommer empfiehlt in seinem Blogpost, "dass sich mit diesem Beispiel [gemeint ist Tokio Hotel-Angie] medientheoretische Einsichten anbahnen lassen, die vor allem für jene, die als Berufswunsch Influencer(in) angeben, von existenzieller Bedeutung sein können."
Damit wird eine medienethische Perspektive in den Blick genommen, aus der heraus die Online-Präsenz Jugendlicher wie Tokio Hotel-Angie, Rebecca Black
Das letztgenannte Beispiel von "Star Wars Kid" unterscheidet sich von Angie und Rebecca Black nicht zuletzt darin, dass der Schüler, der hier unbeholfen einen Kampf mit dem Lichtschwert nach dem Vorbild der Star Wars-Figur Darth Maul nachspielt, nie die Absicht hatte, das Video der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der kanadische Schüler drehte es ursprünglich im Aufnahmestudio der eigenen Schule, ließ das Video jedoch dort zurück. Mitschüler:innen fanden es einige Zeit später, reichten es weiter, bis es schließlich über die Internetplattform Kazaa und über eine private Webseite online gestellt wurde.
Wie auch bei Angie und Rebecca Black wurde das Video entsprechend spöttisch-hämisch, bösartig und verletzend kommentiert, parodiert und fand sogar Niederschlag in professionellen Fernsehproduktionen.
Sowohl Angie als auch der kanadische Schüler haben durch ihre Videos unfreiwillig Berühmtheit erlangt. Die Medienwissenschaftlerin Theresa Senft vergleicht diesen Prozess der Popularisierung mit Prominenten, deren Berühmtheit jedoch in der Regel
'Tokio Hotel-Angie' und 'Star Wars Kid' haben diesen professionellen Background nicht, ihre "Micro-celebritiy" (Senft 2008, S. 25ff.) ist eine unbeabsichtigte, die Aufmerksamkeit, die ihnen zuteil wurde, war wortwörtlich überwältigend.
Zwar unterscheidet sich die Dynamik des Cybermobbings, mit denen Jugendliche konfrontiert werden könnten, nicht wesentlich vom Mobbing in der Schule. Allerdings – und das haben Sie vielleicht erfahren durch die Auseinandersetzung mit dem Medienbegriff Marshall McLuhans – können deutlich mehr Menschen auf diese Dynamik reagieren.
Die meisten Ihrer (zukünftigen) Schülerinnen und Schüler bewegen sich freiwillig in vernetzten Öffentlichkeiten, nicht zuletzt um ihren Ruf zu pflegen, sich ihres sozialen Status zu versichern und Anerkennung der Peer-Group zu erhalten.
Sie als Lehrerin und Lehrer, Pädagoge und Pädagogin werden Ihre Schülerinnen und Schüler dabei nicht vor allen Formen der Verletzung bewahren können, die sich in den zwischenmenschlichen Konflikten, die Kommunikation in sozialen Medien häufig mit sich bringt, ereignen.
Ein (ggf. medienskeptischer) Ruf nach einer Einschränkung der Zugänglichkeit und Nutzung sozialer Medien für Jugendliche, die sich gehässig und niederträchtig in sozialen Medien verhalten, ist jedoch häufig nicht besonders nachhaltig bzw. naiv, da er die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen verkennt. Zielführender ist es zu reflektieren, welche Motivation hinter derartigen Akten steht (vgl. Boyd 2014, S. 155), und entsprechend damit umzugehen.
"[W]ir können eine gemeinsame Anstrengung unternehmen, um ihr Selbstbewusstsein und ihre Selbstbehauptungskräfte zu stärken, damit sie robuster werden und erkennen, warum sie selbst andere verletzen. Wenn Jugendliche die Stärke besitzen, mit belastenden Situationen umzugehen, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie versuchen, die Situation zu eskalieren, oder selbst von einem negativen Erlebnis emotional erschüttert werden. Wenn sie verstehen, wie sich ihre Handlungen auf andere auswirken, entwickeln sie eine größere Sensibilität für die Konsequenzen ihrer Worte und Taten."Hilfreiche Tipps für Jugendliche und Pädagogen zum Umgang mit Cybermobbing stellt auch die Initiative Klicksafe.de bereit. Ein Besuch dort lohnt.