Modul 04

Website: Open E-Learning-Center Niedersachsen (OpenELEC)
Kurs: Kompetenzen für das Unterrichten in der digitalen Welt
Buch: Modul 04
Gedruckt von: Gast
Datum: Montag, 23. Dezember 2024, 04:38

Beschreibung

Kreativität unter den Bedingungen der Digitalität

 

 

1. Zur Einführung

 
Übersicht über die Kapitel: 

1.1 The Sputnik-Shock

1.2 Kreativität im Zeitalter der Digitalisierung

1.1. The Sputnik-Shock

Am 4. Oktober 1957 ereignete sich eine Sensation, die in die Historie der Raumfahrt, aber auch in die Historie der Kreativitätsforschung eingehen sollte: der Sputnik Schock!

Der kleine, piepsende Satellit war das weltweit erste menschengemachte Objekt, das in den Weltraum geschossen wurde – eine Leistung der Sowjetunion, die in den Augen der US-Amerikaner als rückständiger Bauernstaat galt. Dass nun gerade die Sowjetunion der bis dato technologisch führenden Weltmacht USA zuvorgekommen war, glich einer nie zuvor dagewesenen Blamage.

Sputnik erschütterte das Selbstverständnis der Amerikaner in seinen Grundfesten. Um den Rückstand gegenüber den Sowjets einzuholen, wurden großangelegte Programme zur Förderung von Kreativität und Intelligenz (Headstart-Projekt) gestartet, um die kommenden großen Herausforderungen der Zukunft meistern zu können.


1.2. Kreativität im Zeitalter der Digitalisierung

Die US-Amerikaner sahen im Wettrennen um den Weltraum eine große Herausforderung ihrer Zeit, auf die sie entsprechend reagierten.
Große Herausforderungen gibt es auch heute mehr als genug. Im Zeitalter der Digitalisierung werden immer mehr komplexe Prozesse automatisiert und (auch anspruchsvolle) Aufgaben, von denen wir lange dachten, sie wären dem Menschen vorbehalten, von smarten Maschinen übernommen. Der Arbeitsmarkt verändert sich dramatisch, bislang stabile Wirtschaftszweige geraten ins Wanken, die Abhängigkeit von technischen Errungenschaften steigt. Soziale Konstanten (bzw. solche, die man dafür hielt) werden destabilisiert und die Wissenschaft wird stetig mit völlig neuen Herausforderungen konfrontiert.

Vor diesem Hintergrund gewinnen genau die Kompetenzen massiv an Bedeutung, die auf absehbare Zeit nicht von Computern übernommen werden können - z.B. das kreative Denken.

Sascha Friesike, Professor für Design digitaler Innovationen an der Universität der Künste Berlin, erklärt uns dies am Beispiel künstlicher Intelligenz:

"Aus diesem Grund ist es wichtig, nicht nur die Bedingungen kreativer Tätigkeit zu studieren, sondern aktive Maßnahmen zur Förderung des kreativen Denkens zu ergreifen. Elternhaus, Schule und Universität stellen ja in gewissem Sinne Sozialisationsinstanzen dar, die zur Förderung kreativen Verhaltens anhalten sollten." (Funke 2000, S. 295)



2. Was ist Kreativität?

 
Übersicht über die Kapitel: 

2.1 Fünf kreative Kreise

2.2 Torrance Test of Creative Thinking

2.3 Dimensionen kreativen Denkens

2.4 Kreativität - Definitionen

2.1. Fünf Kreative Kreise

1. Zeichnen Sie auf ein Stück Papier oder auf Ihrem Tablet 5 gleich große Kreise (Falls Sie hierfür die Vorlage unten benötigen, dann sind Sie in diesem Modul goldrichtig 😊).

2. Verwenden Sie die Kreise als Ausgangspunkt für eigene Zeichnungen. Sie haben dafür 2 Minuten Zeit (und sogar eine virtuelle Stoppuhr zur Verfügung).

3. Fotografieren oder scannen Sie Ihre Zeichnungen und tauschen Sie sich darüber aus.

5 Kreise

2.2. Torrance Test Of Creative Thinking

Der Test, den Sie auf der vorangegangenen Seite bearbeitet haben, geht zurück auf den Psychologen Ellis Paul Torrance und dessen „Torrance Test of Creative Thinking“ (vgl. Torrance 1966). Im Original handelt es sich um einen Test, der Kreativität in sprachlichen und sprachfreien Verfahren zu erfassen sucht.
Der Testausschnitt, den Sie absolvieren durften, dient der sprachfreien Erfassung von Kreativität und beruht im wesentlichen auf zeichnerischen Aktivitäten.

1. Vergleichen Sie Ihre Zeichnungen mit den untenstehenden.
2. Stimmen Sie ab: Welche Leistung der untenstehenden Zeichnungen ist die kreativste?


2.3. Dimensionen Kreativen Denkens

 

Der Torrance Tests of Creative Thinking ist ein weit verbreiteter Tests zur Erhebung von Kreativität.
Dabei wird nicht davon ausgegangen, dass Kreativität ein eindimensional zu messender Persönlichkeitsfaktor ist, sondern es werden vier verschiedene Dimensionen kreativen Denkens unterschieden:

  • Fluency (Flüssigkeit): Wie viele Antworten werden gegeben?
  • Flexibility (Flexibilität): Wie viele verschiedene Arten von Antworten gibt es
  • Orginality (Originalität): Wie außergewöhnlich sind die Antworten?
  • Elaboration (Ausarbeitung): Wie detailliert sind die einzelnen Ideen angereichert?
5 verschiedene Personen haben je 5 Kreise mit unterschiedlichen Ideen bespielt
 


(Die Lösungen gibt es auf der nächsten Seite.)


Auch wenn die Forschungen von Torrance das Bild von Kreativität nachhaltig geprägt haben: Empirisch gesehen haben sich die Verfahren für die Erfassung kreativer Prozesse als nicht unproblematisch erwiesen: So lassen sich beispielsweise die Faktoren Flexibilität und Flüssigkeit nicht voneinander trennen, sodass mittlerweile von einem dreidimensionalen Modell ausgegangen wird (Bei sprachlichen Verfahren: Flüssigkeit, Originalität und Flexibilität, bei sprachfreien Verfahren Flüssigkeit, Originalität und Ausarbeitung.) (vgl. Lai et al. 2018)

 

2.4. Kreativität - Definitionen

Hier ganz unkreativ... die Lösung des Quiz von 2.3: 

Anna zeichnete die meisten Bilder, obwohl es alles nur Gesichter waren. Sie hat die höchste Flüssigkeit.

Benjis Antworten bewiesen die größte Vielfalt, obwohl er insgesamt weniger Kreise weitergezeichnet hat als Anna.
Er hat die höchste Flexibilität.

Darlene hat nur zwei Kreise weitergezeichnet, aber niemand sonst hat an einen Ballon oder eine Bombe gedacht.
Sie hat die höchste Originalität.

Eric hat zwar nur Gesichter und nur drei Kreise gezeichnet, aber deutlich detaillierter als die anderen.
Er weist die höchste Ausarbeitung auf.

Carol hat zwei Räder und eine Kugel gemalt – immerhin… schön geometrisch. Aber nicht besonders kreativ.

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Definitionen von Kreativität: 

‘‘Creativity is the interaction among aptitude, process and environment by which an individual or group produces aperceptible product that is both novel and useful as defined within a social context.’’ (Plucker, Beghetto, and Dow 2004, S. 90)

 

‘‘Over the course of the last decade, however, we seem to have reached a general agreement that creativity involves the production of novel, useful products’’ (Mumford 2003, S. 110)

 

‘‘Creativity is the ability to produce work that is both novel (i.e., original, unexpected) and appropriate (i.e., useful, adaptive concerning task constraints)’’ (Sternberg and Lubart 1999, S. 3)

 

‘‘. . . creativity must entail the following two separate components. First a creative idea or product must be original . . . However, to provide a meaningful criterion, originality must be defined with respect to a particular sociocultural group. What may be original with respect to one culture may be old news to the members of some other culture . . . Second, the original idea or product must prove adaptive in some sense. The exact nature of this criterion depends on the type of creativity being displayed’’ (Simonton 1999, S. 5f.)

 

‘‘Creative thought or behaviour must be both novel-original and useful-adaptive’’ (Feist 1998, S. 290)

 

"Bringing something into being that is Original (new, unusual, novel, unexpected) and also Valuable (useful, good,
adaptive, appropriate)." (Ochse 1990, S. 2)

 

‘‘ . . .if a response is to be called original . . . it must be to some extent adaptive to reality’’ (Barron 1955, S. 553)

 

Erstellen Sie kollaborativ eine deutschsprachige Definition von Kreativität, die die verschiedenen Facetten der oben angeführten Definitionen berücksichtigt.
D.h.: Arbeiten Sie gemeinsam an einer Definition. Eine*r macht den Anfang, alle anderen ergänzen, schreiben um, kommentieren, korrigieren usw. Das Ziel ist ein kohärenter Text. 

 

 

3. Kreativität als 21st Century Skill

 
Übersicht über die Kapitel: 

3.1 Kreativität - ein 21st Century Skill

3.2 Framework for 21st Century Learning

3.1. Kreativität - ein 21st Century Skill

Andreas Schleicher hält eine Rede
Andreas Schleicher (2013) re:publica, CC BY-SA 2.0 Bildquelle
"Die Welt belohnt Menschen nicht mehr für ihr Wissen – Suchmaschinen wissen alles – sondern für das, was sie mit ihrem Wissen anfangen können, dafür, wie sie sich in der Welt verhalten und wie sie sich wandeln können. Das macht heute den Unterschied aus. Deswegen geht es in der Bildung heute mehr um Kreativität, kritisches Denken, Kommunikation und Kollaboration, um modernes Wissen (dazu gehört die Fähigkeit, das Potenzial neuer Technik zu erkennen und zu nutzen) und schließlich auch um Charaktereigenschaften, die erfüllten Menschen helfen, mit anderen zusammenzuleben, zusammenzuarbeiten und eine nachhaltige Menschheit aufzubauen." (Schleicher 2017, Position 113-117)

Andreas Schleicher haben Sie bereits in Modul 00 in seinem Vortrag auf der re:publica kennengelernt. Wie in obigem Zitat nimmt er auch dort Bezug auf bestimmte Kompetenzen, die (nicht nur) im deutschsprachigen Bildungskontext unter dem Begriff der sog. 4K (engl. 4C) intensiv diskutiert werden und die einen Teil eines Frameworks für das Lernen im 21. Jahrhundert darstellen, so wie es die US-amerikanische Non-Profit-Organisation Partnership for 21st Century Learning (P21), die sich für die Bildung im Zeitalter der Digitalisierung und Digitalität einsetzt, im Jahr 2007 aufgestellt hat (Hier können Sie die entsprechende Veröffentlichung nachlesen).


3.2. Framework for 21st century learning

 

Das Modell von P21 umfasst sowohl die erforderlichen Schülerfähigkeiten des 21. Jahrhunderts (durch die Bögen des Regenbogens dargestellt) als auch die notwendigen Unterstützungssysteme (wie durch die Bögen am Boden dargestellt). Zentral in der Mitte stehen die Fachkompetenzen (neben den Schlüsselthemen die 3Rs = Reading, Riting, and Rithmetic), links und rechts daneben Lebens- und Karrierekompetenzen sowie Informations- und Medienkompetenzen. Besonderes Gewicht kommt den Lern- und Innovationskompetenzen zu, da sie die die Grundlagen für selbstgesteuertes Lernen darstellen.

Um einen tieferen Einblick in das Modell im Allgemeinen und in Kreativität im Speziellen zu bekommen, klicken Sie einfach auf die einzelnen Begriffe. 

 

 

4. Kreatives Denken

 
Übersicht über die Kapitel: 

4.1 Das Neun-Punkte-Problem

4.2 Lösung des Neun-Punkte Problems

4.3 Determinanten kreativen Denkens

4.4 Der Prozess des kreativen Denkens

4.1. Das Neun-Punkte-Problem

 

Was zeichnet kreatives Denken aus? Beginnen wir mit einem kleinen, ziemlich bekannten Rätsel.
Egg Puzzle
Bildquelle: Sam Loyd (1914): Sam Loyd's Cyclopedia of 5000 Puzzles, Tricks, and Conundrums With Answers. Online.
 

Verbinden Sie alle 9 Punkte mit 4 geraden Linien, ohne dazwischen abzusetzen.

9 Punke, die in 3 Reihen untereinander angeordnet sind

 

Die Lösung finden Sie auf der nächsten Seite. 

 

4.2. Lösung für das Neun-Punkte-Problem

Die Lösung

Wenn Sie das Rätsel auf Anhieb gelöst haben, haben Sie (es entweder schon gekannt oder) ein Verfahren angewandt, dass als “Think outside the Box” bekannt geworden ist: Sie haben den unsichtbaren Rahmen, den die 9 Punkte implizieren, durchbrochen, d.h. Sie haben unkonventionell, gegen den Strich, innovativ, sprich kreativ gedacht.



Es gibt übrigens für jedes Problem mehr als eine richtige Lösung - so auch zum Neun-Punkte-Problem. Interessiert an weiteren kreativen Lösungen? Dann hiermit viel Spaß!

4.3. Determinanten Kreativen Denken

Kreatives Denken nur auf unkonventionelles Denken zu beschränken, würde ihm nicht gerecht werden.
Vielmehr hängt kreatives Denken von drei Determinanten ab (vgl. Funke 2000, S. 291ff.):

Merkmale der Person

Während man früher davon ausging, dass in erster Linie die Intelligenz eines Menschen maßgeblich verantwortlich für dessen Kreativität sei, geht man heute davon aus, dass es vor allem "Unabhängigkeit, Nonkonformismus, unkonventionelles Verhalten, weitgespannte Interessen, Offenheit für neue Erfahrungen, Risikobereitschaft sowie kognitive und verhaltensmäßige Flexibilität" (Funke 2000, S. 291) sind, die kreatives Denken begünstigen. 

Das kreative Produkt

Das kreative Produkt ist das Ergebnis kreativen Denkens. Joachim Funke führt insgesamt fünf Kriterien für den Grad an Kreativität eines Produkts an:

  • die Neuigkeit
  • die Angemessenheit/Nützlichkeit, um ein Problem lösen zu können
  • die Qualität
  • die Bedeutung (abhängig von der Reichweite eines Produkts).
  • die Entstehungsgeschichte (Diese hat Einfluss auf die Bewertung der Kreativitätsleistung: Zufälligen Entdeckungen messen wir gewöhnlich (und manchmal zu Unrecht) weniger Wert bei als einem Produkt, das in langjähriger und mühsamer Entwicklungsarbeit entstanden ist).
Das kreative Umfeld

Interessanterweise entwickelt sich Kreativität nicht immer dort, wo die besten Bedingungen herrschen, sondern dort, wo Menschen einerseits mit Herausforderungen konfrontiert sind, die kreatives Denken erfordern, und andererseits mit anderen Menschen zusammen arbeiten bzw. denken können, die auf dem gleichen Gebiet kreativ sind.

Erinnern Sie sich nochmal zurück an das Modul 00: Dort sollten Sie Ihre Vorstellung von einer Lernumgebung der Zukunft skizzieren. Tauschen Sie sich mit Ihrer Lerngruppe aus: Welcher Entwurf entspricht Ihres Erachtens einem besonders kreativen Umfeld?


4.4. Der Prozess des kreativen Denkens

Isaac Newton fällt ein Apfel auf den Kopf: Zack! Graviationsgesetz entdeckt. Doch war es so?

(Oder war es am Ende sogar SO?)

Kreative Lösungen basieren in der Regel nicht auf Geistesblitzen, sondern sind Ergebnis eines kreativen Prozesses.
Häufig verläuft dieser in 5 Stufen (vgl. Funke 2000, S. 288f.):

1. Vorbereitung

Kreative Einfälle kommen vor allem dann, wenn Sie sich mit einem Thema intensiv auseinandergesetzt haben, wenn Sie also schon einiges an Expertise sammeln konnten. Ohne Kenntnisse über das entsprechende Gebiet wird es Ihnen wahrscheinlich schwerfallen, innovative bzw. kreative Ideen zu entwickeln.

2. Inkubation
Wenn Sie eine kreative Idee entwickelt haben, ist es häufig sinnvoll, diese etwas ruhen zu lassen. Dahinter steckt die (kognitionspsychologisch mittlerweile gut erforschte) Vorstellung, dass sich Ideen auch im Unterbewusstsein - wie in einem Brutkasten ('Inkubator') - weiterentwickeln: "Am Werk ist hier die Dynamik unseres Gedächtnisses, in dem assoziative Verbindungen zwischen Ideen und Vorstellungen sich im Laufe der Zeit abschwächen und durch neu hinzukommende Informationen überlagert und verändert werden („creative cognition“, vgl. Finke, Ward & Smith 1992)." (Funke 2000, S. 288f.)

3. Einsicht
Nach einer gewissen Inkubationszeit dringen die rekombinierten Assoziationen wieder ins Bewusstsein - Heureka! es kommt zu einem Moment der 'Erleuchtung'.

4. Bewertung
Nicht immer jedoch erweist sich das, was da aus dem Unterbewusstsein den Weg ans Tageslicht gefunden hat, auch als wirklich brauchbar. In der Phase der Bewertung wird der kreative Einfall deshalb kritisch beurteilt und seine Brauchbarkeit bzw. Umsetzbarkeit an vorherrschenden Normen und Werten gemessen. Nur dann, wenn er diesen nicht zuwiderläuft, schreitet der kreative Prozess fort.

5. Ausarbeitung
Dem Erfinder Thomas Edison wird zugeschrieben gesagt zu haben: „Genie bedeutet 1% Inspiration und 99% Transpiration". Kreativität ist demnach keine Eigenschaft, die man hat oder eben nicht, sondern zu einem Großteil harte Arbeit: Der Weg von einer kreativen Idee zu einem kreativen Produkt ist lang und manchmal steinig. Nur dann, wenn man sich der Idee mit großem Engagement, mit Ausdauer und Begeisterung widmet, kommt es zu einer erfolgreichen Ausarbeitung.


Kreativität als Remix-Aktivität

Laut einer Forschergruppe um den Wirtschaftsinformatiker Christoph M. Flath ist die Wiederverwertung von vorhandenem Wissen, das sog. 'Remixing' unverzichtbarer Bestandteil bei der Entwicklung innovativer Ideen. Vor allem mit dem Aufkommen offener internetbasierter Plattformen hat es in den letzten Jahren seinen Weg von der Welt der Musik und Kunst bis hin zur Gestaltung beliebiger physischer Güter gefunden. In ihrer explorativen Studie über Remixing-Aktivitäten identifizieren Flath et al. (2017) die folgenden Muster von Remixprozessen:

Grafik zur Remix Aktivität
Grafik zur Remix Aktivität
Quelle: Flath, Christoph M. /Friesike, Sascha/Marco Wirth/Thiesse, Frédéric (2017): Copy, transform, combine: exploring the remix as a form of innovation. In: Journal of Information Technology. doi:10.1057/s41265-017-0043-9

5. Kreatives Arbeiten

 
Übersicht über die Kapitel: 

5.1 Lehrende als Kreativitätstrainer? 

5.2 Konstruktionismus

5.3 Beispiele für das kreativ Arbeiten mit digitalen Medien

5.4 Ansätze zur Förderung von Kreativität im Unterricht

5.5 Ihr persönlicher Kreativitätspool

5.1. Lehrende Als Kreativitätstrainer?

Sie haben auf den letzten Seiten einiges erfahren können über Kreativität, kreatives Denken, kreative Prozesse usw. Doch was bedeutet das alles für Sie als (angehende) Lehrkraft? Erschöpft sich die schulische Förderung von Kreativität in der Vermittlung von Kreativitätstechniken? Natürlich nicht. 
Vielmehr werden Sie sich bei der Förderung von Kreativität in Ihrem Unterricht mit strukturellen Herausforderungen konfrontiert sehen, denen Sie auf kreativ-subversive Art begegnen müssen. 

Denn:

"Die Förderung kreativen Denkens kann nicht in formellen Lernsituationen erfolgen, sondern setzt voraus, dass die Schule den Lernenden Freiräume zugesteht. Diese Zurückhaltung kann sich in Stundentafeln, Lehrplänen und Lernmitteln äußern, die nicht überladen sind. Auch in jeder einzelnen Freistunde kann eine Lehrperson Freiraum schaffen, indem sie den Lernenden die Möglichkeit gibt, Probleme selbst zu analysieren, in der Gruppe zu diskutieren und eigene Lösungswege zu entwickeln. Voraussetzung ist, dass sich die Lehrperson zurücknimmt oder, um es noch deutlicher zu machen, sich weniger wichtig nimmt. Ebenso von Bedeutung ist es, dass die Schule den Lernenden den Unterschied zwischen der Nutzung von Freiräumen und dem bequemen Nichtstun aufzeigt." (Hartmann/Hundertpfund 2015, S. 134)


5.2. Konstruktionismus

Eine Lerntheorie, die die Bedeutung des Erschaffens kreativer Produkte für das Lernen betont, stellt der Konstruktionismus (Achten Sie auf das n!) dar.
Über den Begriff des Konstruktivismus haben wir ja bereits gesprochen. Eine der Kernaussagen des Konstruktivismus ist, dass Schüler sich aktiv ihr Wissen konstruieren, passives Lernen ist nicht möglich. Ein Ansatz, der auf dem Konstruktivismus aufbaut und dessen grundlegende Annahmen teilt, ist der Konstruktionismus.

Bastelarbeiten mit Papier

Die Grundidee des Konstruktionismus ist, dass Menschen dann am besten lernen, wenn sie persönlich bedeutungsvolle Objekte erschaffen, die herumgezeigt, diskutiert, erprobt oder auch bewundert werden können. Lernende sollen Phänomene nicht von außen betrachten, sondern direkt in die Situation eintauchen. Dabei erwerben sie selbst das für die Umsetzung notwendige Wissen. Denkbar ist beispielsweise der Bau einer Brücke oder das Konstruieren eines Hauses aber auch das Erstellen eines eigenen Snap! Projekts (Papert, 1980).
Der Konstruktionismus betont, wie wichtig es ist, Schülerinnen und Schülern Raum für eigene kreative Projekte zu geben. Konkretes Denken ist hierbei keine Stufe, aus der Kinder herauswachsen sollen, sondern anderen Arten des Denkens gleichgestellt (Romeike, 2008).

Nicht immer eigene Lösungswege entwickeln, aber trotzdem kreativ sein, können Schülerinnen und Schüler bei der Erstellung digitaler Artefakte – ein in der Schule häufiges Einsatzszenario. Auch wenn sich die Bedeutung von Kreativität nicht darin erschöpft, ermöglichen digitale Medien völlig neue Ziele und kreative Aufgaben, die im Zeitalter der Buchkultur so nicht denkbar waren.


5.3. Beispiele für das kreativ arbeiten mit digitalen Medien

Für die Erstellung digitaler Produkte kann man häufig auf bestimmte Apps und Webseiten zurückgreifen, die einem die Arbeit erleichtern. Nicht immer jedoch eignen sich die Apps tatsächlich zur Förderung der Kreativität.
Als Gütekriterium für den Einsatz bestimmter Tools in einem kreativen Unterricht könnte deshalb die folgende Faustregel gelten:

Je weniger sich vorhersagen lässt, wofür ein bestimmtes Tool im Unterricht genau eingesetzt werden wird, desto eher ist es dafür geeignet, einen kreativen Unterricht unter den Bedingungen der Digitalisierung zu gestalten.

Um Ihnen zu verdeutlich, wie mit digitalen Anwendungen kreativ gearbeitet werden kann, haben wir Ihnen einige Beispiele herausgesucht:

Eigene Bücher erstellen

Screenshot App Bookcreator 

Thomas Staub, CC BY

Die App 'Bookcreator' ermöglicht Ihnen, Inhalte in Form eines digitalen Buchs zu verarbeiten. Man kann Texte, Audio- und Videodateien, Bilder, Zeichnungen, Links etc. einfügen und so z.B. sein eigenes Schulbuch, Forscher*innen-, Lern- oder Lesetagebuch, seine eigene Präsentation, sein eigenes Sachbuch etc. gestalten.

Grundsätzlich eignen sich Tablets gut für die Arbeit mit Bookcreator, jedoch gibt es die App nur für iOS. Alle anderen Betriebssysteme können aber auf die Browser-Version ausweichen.

Wie vielseitig damit gearbeitet werden kann, wurde auf diesem Padlet gesammelt.
Ein weiteres Beispiel für die Arbeit mit selbst erstellten eBooks liefert das Projekt https://www.adaptablebooks.com der LMU München.

Geschichten erzählen mit Scratch

Mit einer Anwendung wie Scratch Jr oder Scratch, die ähnlich funktionieren wie das Ihnen bereits bekannte Programm 'Snap!', können Kinder interaktive Geschichten erzählen oder Theaterstücke aufführen. Sie erschaffen dabei etwas für sich Bedeutungsvolles, das Sie ihren Klassenkameradinnen und -kameraden zeigen können. Dabei erhaltenes Feedback kann wiederum in die Verbesserung des eigenen Projekts einfließen.

 Ein Beispiel für das Erzählen mit Scratch sehen Sie hier.

 Screenshot eines Bildschirms mit Scratch Jr 

scratchjr.org

Filmproduktion

(Youtube: Erklärvideos mit einem Erklärvideo erklärt)

Während es früher höchst aufwändig war, mit Schülerinnen und Schülern Filme zu produzieren, ist dies im Zeitalter der Digitalisierung kaum noch problematisch - nahezu jeder Lernende hat mit seinem Smartphone die Videokamera quasi in der Tasche.
Der Einsatzmöglichkeiten für Videos gibt es viele: Schülerinnen und Schüler können Erklärvideos mit ausgeschnittenen Papierbildern als Legevideos (wie im Beispiel) drehen, als animierte Präsentationen mit mysimpleshow realisieren 

Literaturverfilmungen mit Hilfe der Stop-Motion-Technik in Form eines eines Brickfilms herstellen usw.

 


Ähnlich wie bei der Animation müssen hier die für eine Erklärung relevanten Inhalte bzw. die zu transportierende Geschichte in ein Drehbuch verpackt werden, das dann verfilmt und evtl. auch geschnitten und nachvertont werden muss. Der Prozess ist also inkrementell, indem das aufgenommene Videomaterial stetig evaluiert und verbessert wird.


MakeyMakey

Das MakeyMakey ist ein Mikrocontroller mit dem sich alle (stromleitenden) Gegenstände in ein Eingabegerät verwandeln lassen. Die Entwicklung wurde maßgeblich von der Idee des Konstruktionismus beeinflusst. Mögliche Projektideen finden sich zum Beispiel bei Michael Hielscher und Beat Döbeli Honegger.


Weitere Beispiele gefällig?
Gerade digitale Medien eröffnen ein unglaubliches Potenzial (mit keinem oder geringem Materialaufwand), selbst kreative Produkte zu erschaffen. Computer – gleich welcher Größe – verfügen über so viele Möglichkeiten, alleine oder im Team kreativ zu werden. Kollaboratives Arbeiten kann Kreativität zusätzlich befruchten, etwa wenn Kinder darauf angewiesen sind, ihre Ideen mit anderen zu kommunizieren und sich gegenseitig Feedback zu geben. Weitere Beispiele für kreatives Arbeiten mit digitalen Medien finden Sie bei der virtuellen PH Österreich.

Warum Sie in digi4all nicht oder nur stellenweise den Umgang mit spezifischen Tools lernen

Als Autoren dieser Lernumgebung und als Ihre Dozenten stehen wir vor einem Dilemma (das Sie später als Lehrperson teilen werden): Wie viel konkrete Software zeigen wir Ihnen, wie intensiv thematisieren wir einzelne Tools und wie detailliert gehen wir auf den dahinterstehenden Prozess ein? Wir wägen ab zwischen "Wie viel müssen Sie über ein einzelnes konkretes Produkt (das neben hundert anderen vergleichbaren steht) wissen?" und "Welches Wissen ist nötig, um sich die Bedienung der jeweiligen Werkzeuge selbst erarbeiten zu können?".

Eine Antwort auf diese Fragen gibt die Differenzierung des entsprechenden Wissens in Konzeptwissen und Produktwissen:
Ersteres umfasst langfristig gültige, grundlegenden Zusammenhänge eines Sachgebiets, zweiteres Kenntnisse, die zur Bedienung eines konkreten Produkts nötig sind. 

Inwiefern Produkt- und Konzeptwissen charakterisiert werden können, können Sie folgender Tabelle entnehmen:

ProduktwissenKonzeptwissen
auswendig lernen, wiedergeben           
verstehen und einordnen
produktbezogen
produktunabhängig
kurzlebig
langlebig
isolierte Fakten
Zusammenhänge
wenig Transfer möglich
Transfer möglich


Auf der einen Seite ist man leicht verleitet, den Fokus zunächst auf das Produktwissen zu legen, denn häufig sind die zugrundeliegenden Konzepte gar nicht so einfach zu identifizieren. Außerdem möchte man das Gelernte meist auch direkt anwenden können.

Auf der anderen Seite erleichtert profundes Konzeptwissen den Lehrkräften die eigene Unterrichtsplanung, da nicht ständig neue Anwendungen gelernt und die Lehrmaterialien entsprechend angepasst werden müssen.
In der Praxis muss Unterricht trotzdem sowohl Konzept- wie Produktwissen umfassen. Während das Konzeptwissen nachhaltig ist und auch hilft, erworbenes Wissen einzuordnen, ist Produktwissen nötig, um selbst handelnd tätig werden zu können und z.B. ein eigenes eBook zu erstellen.


5.4. Ansätze zur Förderung von Kreativität im Unterricht

Neben der konkreten Arbeit an digitalen Produkten können Sie Kreativität in Ihrem Unterricht auch ganz grundlegend und strukturell umwälzend ermöglichen bzw. fördern.

Lai et al. (2018) dokumentieren unter Berufung auf etliche Studien eine Vielzahl an empirisch geprüften Ansätzen, wie dies effektiv und qualitätsvoll gelingen kann.

Eine Auswahl dieser Ansätze sehen Sie hier kurz zusammengefasst:

Problemlösendes Lernen
Konfrontieren Sie Ihre Schülerinnen und Schüler regelmäßig mit der Aufgabe, Lösungen für echte Probleme, die sie selbst bzw. zukünftige Generationen tangieren, zu finden.

Flexibler Umgang mit Raum und Zeit 

Kreativität braucht Freiraum und Freizeit: Prüfen Sie, wie Sie den Raum, der Ihnen zur Verfügung steht (Klassenzimmer, Schulhaus, Umgebung), so flexibel nutzen können, dass er Ihren Schülerinnen und Schülern möglichst viel Freiraum für kreative Prozesse bietet. Das gleiche gilt für die Zeit: In einem 45-Minuten-Takt kann sich Kreativität kaum entfalten.

Tipp: Initiieren Sie interdisziplinäre, jahrgangsübergreifende Projekte, in denen Ihre Schülerinnen und Schüler selbstbestimmt und eigenverantwortlich lernen und arbeiten können.

Oder Sie gestalten Ihren Unterricht nach dem Google-Prinzip, indem Sie und Ihre Kolleg*innen einen festen Wochentag vom Unterricht im Klassenverband freistellen und den Lernenden stattdessen Zeit und Raum geben, in der/dem sie sich ihren eigenen Projekten widmen können. Wichtig ist, dass Sie die Projekte nicht vorschreiben. Stattdessen dürfen die Schülerinnen und Schüler individuellen Interessen nachgehen, müssen aber in regelmäßigen Abständen alle anderen über den Stand Ihrer Arbeit, über die nächsten Ziele und über Erfolge und Misserfolge informieren.

Kreativitätsfördernde Materialien
Stellen Sie ein vielfältiges Angebot an Material zur Verfügung. Gerade die Arbeit mit digitalen Medien bietet hier eine Vielzahl an Möglichkeiten.

Außerschulische Lernorte
Verlassen Sie das Klassenzimmer und nutzen Sie außerschulische Lernorte. Gehen Sie in die Natur, in die Stadt, erkunden Sie die Möglichkeiten der schulischen Umgebung, arbeiten Sie im Freien, besuchen Sie Museen und Galerien, lassen Sie sich von Betrieben und Institutionen inspirieren, arbeiten Sie mit außerschulischen Partner*innen und Expert*innen zusammen etc.

Respektvoller Umgang
Ein respektvoll-wohlwollender Umgang zwischen Lehrenden und Lernenden ist eine Selbstverständlichkeit. Noch erfreulicher ist, dass die Forschung herausgefunden hat, dass solche Beziehungen als Faktor für kreatives Lernen fungieren.

Kollaboration
Im Zusammenhang mit Kreativität haben sich positive Effekte der Zusammenarbeit mit Gleichaltrigen gezeigt – was natürlich nicht gegen jahrgangsübergreifendes Arbeiten spricht. 

Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse der Lernenden
Studien zeigen, dass es die Kreativität von Schülerinnen und Schülern fördert, wenn Sie als Lehrende sich die individuellen Bedürfnisse, die Stärken und die Schwächen Ihrer Schülerinnen und Schüler soweit möglich bewusst machen. Ermutigen Sie die Lerndenden, Verantwortung für ihr eigenes Lernen zu übernehmen und sich mit Ihnen über den Lernprozess und den Lernerfolg auszutauschen. Regen Sie die Suche nach kreativen Lösungen für individuelle Probleme an.  

Offenheit
Überdenken Sie Ihre Unterrichtsplanung: Nicht jeder Schritt, nicht jedes Ziel, nicht jeder Satz muss immer geplant werden. Versuchen Sie es doch einmal mit einer agilen Unterrichtsgestaltung, in der Sie kompetent und spontan auf die Interessen und Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler eingehen können. Studien haben positive Zusammenhänge zwischen Kreativität und weniger präskriptiver Unterrichtsplanung gefunden. Da, wo mehr unstrukturierte Zeit zur Verfügung steht, in der die Schülerinnen und Schüler den eigenen Interessen und Fragen nachgehen können, kann Kreativität leichter entstehen.

Metakognitives Training
Metakognition meint grundsätzlich das Denken über das Denken und umfasst zwei Komponenten: das Wissen über das eigene Denken sowie das Monitoring und die Steuerung des eigenen Denkens. Metakognitive Strategien regen die Schülerinnen und Schüler dazu an, über ihre eigenen Problemlösungsprozesse zu reflektieren und neue Zusammenhänge herzustellen, um so zu innovativen und kreativen Lösungen zu kommen.

5.5. Ihr persönlicher Kreativitätspool

Versuchen Sie es nun selbst: Erstellen Sie zum Abschluss dieses Moduls ein Meme zu digi4all. Teilen Sie Ihr Ergebnis anschließend mit Ihrer Lerngruppe. Die besten Memes veröffentlichen wir auf unseren Social Media-Kanälen (natürlich nur, wenn Sie damit einverstanden sind).


6. Selbsttest zu Modul 04

So – bis hierhin hätten Sie es geschafft. Doch haben Sie auch alles verstanden? Testen Sie sich selbst (Wenn Sie das Modul aufmerksam bearbeitet haben, sollten Ihnen die richtigen Antworten nicht schwer fallen).

 

 

7. Ende Modul 04

Super, du hast MODUL 04 erfolgreich beendet!

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