Um besser zu verstehen und dann handeln zu können, schauen wir uns zunächst an, mit welchen Rollen Lehrkräfte heutzutage konfrontiert sind. Darauf aufbauend lernen wir, Herausforderungen für uns zu sammeln und zu charakterisieren.


Schritt 1: Verstehen

Die kanadische Initiative Ontario Extend baut ihr Fortbildungsprogramm für Lehrkräfte darauf auf, dass für Lehrer*innen im digitalen Zeitalter mindestens 5 Rollen zu einem früheren Verständnis des Lehrberufs hinzugekommen sind. Demnach sind Lehrkräfte zusätzlich zu ihrer lehrenden Rolle …

  • Kurator*innen: Es gibt nicht mehr nur ein feststehendes Lehrwerk, mit dem unterrichtet wird, sondern eine Vielzahl von Angeboten und möglichen Quellen. Lehrer*innen stehen vor der Herausforderung, geeignete Materialien zu finden und zum Lehren und Lernen produktiv zu nutzen.
  • Technolog*innen: Bildungsprozesse finden in einer zunehmend technologisierten Gesellschaft, zunehmend digital statt. Und mehr noch als das, prägt die Digitalisierung die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren, arbeiten und leben. Das verändert auch die Art und Weise, wie und was wir lernen.
  • Teamarbeiter*innen: Während Lehrkräfte klassisch als Einzelkämpfer*innen arbeiten, stellen die neuen Formen des Lernens sie mehr und mehr vor die Herausforderung im Team mit Kolleg*innen zu arbeiten.
  • Wissenschaftler*innen: Nicht nur im Zusammenhang mit digitaler Bildung entstehen neue pädagogische Theorien. Ebenso fragt sich die Pädagogik, welche Kompetenzen Lernende in der heutigen Gesellschaft entwickeln müssen und wie Lehrkräfte dabei begleiten können. Diese Entwicklungen gilt es zu berücksichtigen und aufzugreifen.
  • Entdecker*innen: In der heutigen vernetzten Welt entwickeln Menschen schneller Ideen als früher. Man hat den Eindruck, dass ständig irgend etwas Neues entsteht. Darauf lässt sich reagieren mit Rückzug, Anpassung oder Gestaltung. Aus pädagogischer Perspektive, kann nur Gestaltung die richtige Antwort sein. Das setzt Entdeckungsfreude voraus.


Hier siehst Du alle 6 Rollen im Überblick:

6 Rollen mit Icons dargestellt und Text wie oben.


Mit diesen vielfältigen Rollen von Lehrkräften im Blick verstehen wir besser, warum vielleicht auch wir uns häufig überfordert fühlen oder denken, den Ansprüchen nicht genügen zu können: Wir sind in sehr schnellem Tempo mit sehr vielen Herausforderungen konfrontiert!


Schritt 2: Sammeln

Zu wissen, warum wir oft das Gefühl haben, den Ansprüchen nicht zu genügen, ist das eine. Diese Situation zu überwinden, das andere. Beginnen solltest du mit einer Sammlung aller Herausforderungen, vor denen Du stehst.

Praktisch bedeutet das, dass wir für uns aufschreiben, was genau unsere Schwierigkeiten, Fragen oder Herausforderungen sind. Dabei sollten wir so konkret wie möglich werden.

  • ‚Das funktioniert nicht!‘ wird zu: ‚Was genau funktioniert nicht?‘
  • ‚Das verstehe ich nicht!‘ wird zu: ‚Was genau verstehe ich nicht?‘
  • ‚Das kann ich nicht!‘ wird zu: ‚Was genau kann ich nicht?‘

Anstatt also zum Beispiel zu schreiben ‚Ich komme mit der Technik an der Schule nicht zurecht'. besser: ‚Das Whiteboard in meinem Klassenraum zeigt immer irgendwelche Fehlermeldungen an, die ich nicht verstehe.‘

Zweitens sollten wir größere und zusammenhängende Herausforderungen wenn möglich in kleinere Herausforderungen zerlegen. Anstatt zum Beispiel zu schreiben ‚Ich komme mit unserem Moodle nicht zurecht' besser ‚Ich kann das Moodle nicht bedienen' und ‚Ich weiß nicht, wie ich das Moodle in meinem Unterricht einsetzen kann.‘

Anstelle eines großen, unsortierten Kuddemlmuddels, das uns erschlägt, haben wir dann eine Liste mit konkreten Herausforderungen. Durch das Sammeln sind sie noch lange nicht gelöst, aber wir sind der Lösung einen wichtigen Schritt näher gekommen.


Schritt 3: Charakterisieren

Wenn wir wie oben dargestellt unsere Herausforderungen sammeln, dann stehen auf der entstandenen Liste wahrscheinlich sehr unterschiedliche Dinge darauf. Intuitiv können wir uns denken, dass die Herausforderung ‚Mein Ton in der Videokonferenz funktioniert oft nicht‘ eine andere Lösungssuche benötigt als die Herausforderung ‚Ich finde, dass mein Unterricht nicht abwechslungsreich genug ist.‘

Um die unterschiedlichen Herausforderungen zu charakterisieren, können wir uns am so genannten Cynefin-Modell orientieren. Dieses geht von vier unterschiedlichen Arten von Herausforderungen aus. Demnach kann eine Herausforderung klar, kompliziert, komplex oder chaotisch sein. Je nachdem, wie eine Herausforderung kategorisiert wird, erfordert sie eine andere Lösungssuche. Wer sich für das Modell genauer interessiert, findet im Wikipedia-Artikel dazu nähere Informationen. Für unser Lernen möchten wir daran angelehnt eine Charakterisierung in zwei Kategorien vornehmen:

  1. Geschlossene Herausforderungen: Eine geschlossene Herausforderung ist eine Herausforderung, zu der es bereits eine (oder auch mehrere) erprobte und funktionierende Lösungen gibt. Unser Ziel ist, diese Lösung zu finden, zu verstehen und nutzen zu können.
  2. Offene Herausforderung: Ein offene Herausforderung ist eine Herausforderung, zu der es keine eindeutige Lösung gibt. Unser Ziel ist es deshalb, uns neugierig und mutig auf den Weg zu machen und eigene und neue Lösungen zu erproben. Dabei sind wir nicht allein, sondern können gemeinsam mit anderen lernen.


Wie genau die beiden Wege funktionieren, werden wir in den weiteren Lerneinheiten betrachten. In dieser ersten Lerneinheit zur Definition der Herausforderung geht es zunächst nur darum, dass Du beide Kategorien kennst und dass Du Herausforderungen entweder der einen oder der anderen Kategorie zuordnen kannst.