Der Begriff Scaffolding ist abgeleitet vom englischen scaffold, was so viel wie "Baugerüst" bedeutet (Emmermann/ Fastenrath 2018, S. 31). Im sprachsensiblen Unterricht wird der didaktische Ansatz des Scaffoldings genutzt, um Lernenden ein temporäres sprachliches Gerüst bereitzustellen, an dem sie sich abstützen können, um von dem, was sie bereits können hinzukommen zu dem noch zu Erlernenden. Das Gerüst arbeitet also  in der Zone der nächsten Entwicklung (vgl. Gibbons 2002, S. 10).

Dabei wird wieder die Verzahnung von fachlichem und sprachlichem Lernen fokussiert, da ein Erwerb neuer Inhalte auch immer mit einem Erwerb neuer sprachlicher Elemente einhergeht. Sowohl die Sprache als auch die Inhalte werden sukzessive aufgebaut; es geht über die alltagssprachliche hin zur fachsprachlichen Kommunikation und vom Konkreten hin zum Abstrakten. Sind die entsprechenden Kompetenzen insofern erworben, als dass die geforderten Sprachhandlungen eigenständig ausgeführt werden können, wird das Gerüst wieder abgebaut (vgl. ebd.). Der Gerüstbau geschieht über eine genaue Analyse des Lernstandes der Lernenen, der mit dem sprachlichen Bedarf, der aus dem Material ersichtlich wird, abgeglichen wird. Dieser Schritt nennt sich Makroscaffolding und beinhaltet Folgendes:

  • Bedarfsanalyse
  • Lernstandsanalyse
  • Unterrichtsplanung

Im Rahmen der Bedarfsanalyse (Schritt 1) eruieren Sie, welchen sprachlichen Bedarf Ihre Materialien (Aufgaben, Arbeitsblätter, Lehrwerke, Texte etc.) an die Lernenden stellen: Welche fachsprachlichen Begriffe und Strukturen beinhaltet das Material, wo kann es zu Verstehensschwierigkeiten kommen? Welche Operatoren werden verwendet und welche Sprachhandlungen und -produkte gehen damit einher? 

In einem nächsten Schritt wird durch die Lernstandsanalyse (Schritt 2) ermittelt, auf welchen sprachlichen Stand die Lernenden sich befinden. Hierzu können entsprechende Diagnoseinstrumente (welche verlinken?) hilfreich sein. Lehrkräfte sollten sich zur Ermittlung des Lernstandes mit Kolleg:innen austauschen und können sich an folgenden Leitfragen orientieren:


(Michalak et. al. 2015, S. 97)


Die Ergebnisse dieser Analyse werden dann mit denen der Bedarfsanalyse verglichen, um mögliche Lücken zu identifizieren und diese im folgenden Schritt, der Unterrichtsplanung (Schritt 3), durch Scaffolds (= "zeitlich begrenzte sprachliche Hilfen", Michalak et. al. 2015, S. 161) zu schließen. Die aufgeführten Aspekte sollten im Zuge der konkreten Unterrichtsplanung bedacht werden:

  • Vorwissen und Vorerfahrungen der Lernenden (eruierbar durch Mindmaps, Abfragen etc.)
  • sprachliche Entlastung & inhaltliche Vorbereitung
  • Bereitstellung von Zusatzmaterial
  • Einsatz vermittelnder Texte, wenn Lehrbuchtexte zu anspruchsvoll
  • immer gleicher Aufbau: konkret zu abstrakt, einfach zu komplex, alltags- zu fachsprachlich
  • sprachanregende Lernsettings (Gruppenarbeit, Interaktion)
  • konzeptuelle Hilfestellung für sprachlich Schwächere
  • anregender sprachlicher Input, keine Simplifizierung
  • Reflexionen inhaltlicher und sprachlicher Natur

(vgl. Michalak et. al. 2015, S. 162)

Als Scaffolds, also zeitliche begrenzte sprachliche Stützen, können ganz unterschiedliche Dinge helfen: das Vorgeben von Zwischenüberschriften in Texten, eine Wortliste, Satzanfänge, bildliche Erklärungen usw. Die Wahl der Scaffolds ist abhängig vom jeweils zu vermittelnden Inhalt sowie dem Sprachstand der Lernenden.

Den gleichzeitigen Aufbau sprachlicher und inhaltlicher Kompetenzen kann man wie folgt visualisieren (dieses Gerüst lässt sich auch prima für die eigene Unterrichtsplanung verwenden!):


(Kniffka 2019, o.S.)

Der 4. Schritt fokussiert die Unterrichtsinteraktion (=Mikroscaffolding) aller Beteiligten im Unterricht selbst, wobei die Lehrperson immer als Sprachvorbild (vgl. Prinzip 10) fungieren sollte, indem sie auf die eigene Sprachangemessenheit und Korrektheit achtet. Um keine Einwort-Antworten, welche dem Aufbau sprachlicher Kompetenzen wenig zuträglich sind, von den Lernenden zu erhalten, ist es sinnvoll, Fragestellungen so zu formulieren, dass die Lernenden die Möglichkeit haben, sprachlich komplex zu antworten. Kommen doch nur fragmentarische Antworten, so kann die Lehrkraft durch gezielte Rückfragen längere Redebeiträge evozieren. Durch dieses sprachliche Ausprobieren können sowohl sprachliche Strukturen eingeübt als auch Inhalte selbstständig durchdrungen und gefestigt werden. Um die Lernenden im sprachlichen Kompetenzerwerb zu unterstützen, sollte die Lehrkraft sprachliche Hilfen bereitstellen, wo immer sie benötigt werden (vgl. Michalak et. al. 2015, S. 165). Dazu gehört auch das Transparentmachen des jeweils verwendeten Registers, sodass den Lernenden der jeweilige Verwendungskontext klar wird. Außerdem ist es Aufgabe der Lehrkraft über die von den Lernenden verwendete Alltagssprache sukzessive die notwendigen fachsprachlichen Begrifflichkeiten einzuführen und dafür ggf. Aussagen der Lernenden sprachlich einzuordnen und zu reformulieren.

Auch kann Lernenden die Chance gegeben werden, ihre Redebeiträge in kleinem Kreis vorzubereiten und zu erproben, indem Ergebnisse beispielsweise zunächst in Kleingruppen oder Murmelphasen besprochen und erst dann in der Klasse geteilt werden. Solche "Formen des kooperativen Lernens" (Emmermann & Fastenrath 2018, S. 112) eignen sich sehr gut, um insbesondere sprachlich herausgeforderten Lernenden geschützte Erprobungsräume anzubieten, sodass sie mehr Vertrauen in ihre sprachlichen Fähigkeiten fassen. 

Natürlich wird es dennoch zu Fehlern in sprachlichen Äußerungen der Lernenden kommen. Wichtig ist, diesen Fehlern gegenüber offen und nicht wertend gegenüber zu sein, um eine angstfreie Lernatmosphäre zu schaffen. Fehler sollten angesprochen und zum Beispiel durch "sanfte Überformung" (Leisen o.J.) korrigiert werden, damit sie nicht fossilieren, sondern die Lernenden die Chance erhalten, ihre Kompetenzen weiterzuentwickeln. 

Hier zwei Beispiele für die angesprochene Überformung:

Lehrerin: „Was ist der Intelligenzquotient?“

Amiash: „Das ist die Ergebnis, äh Zahl, von Intelligenztest.“ (Fehler: falscher Artikel) 

Lehrerin: „Genau. Der Intelligenzquotient ist das Ergebnis von einem Intelligenztest.“


Amena: „IQ 70 ist nicht nie normal.“ (Fehler: doppelte Verneinung) 

Lehrer: „Ah, du sagst, ein IQ von 70 ist nicht normal.“

Quelle

Fehler sind generell nichts Schlechtes, sondern ganz normaler (und sogar wichtiger!) Teil der sprachlichen Entwicklung (vgl. Michalak et. al. 2015, S. 44). Zudem bieten sie einen Ansatzpunkt für diagnostische Zugänge, auf denen basierend Sie als Lehrkraft weitere Scaffolds für die Lernenden planen können. Fehler sollten also generell eher als "Lernanlässe" denn als Versagen wahrgenommen und genutzt werden (ebd. S. 155).

Wenn Sie noch weitere Hinweise für die Gestaltung einer sprachsensiblen Unterrichtsinteraktion benötigen, schauen Sie sich das Video im Kapitel "Wie unterrichtet man sprachsensibel?", Prinzip 10: Angemessene Lehrersprache an.

Zuletzt geändert: Montag, 24. Juli 2023, 11:16