Sachanalyse

Challenges in den sozialen Netzwerken

Challenges sind Herausforderungen oder Mutproben, bei denen sich die Teilnehmenden filmen. Die Videos werden anschließend auf Social Media-Plattformen (hauptsächlich TikTok) hochgeladen, wo sie Anerkennung durch Likes und Kommentare bekommen. Oft haben Challenges einen Aufforderungscharakter; d. h. Personen werden gezielt nominiert oder herausgefordert, sodass sie sich schnell verbreiten. Neue Challenges entwickeln sich schnell. Trends orientieren sich auch an Elementen der Popkultur, z. B. an beliebten Songs, Serien oder Filmen[1], sind von außerhalb einer Plattform oder Community aufgrund der Schnelllebigkeit aber nur schwer zu verfolgen. Viele Challenges auf Social Media sind völlig harmlos, unterhaltsam und lustig. Dennoch bringen Social Media-Challenges auch Gefahren und Risiken für unreflektierte Nutzerinnen und Nutzer mit sich:

  • Jede Challenge kann je nach Aufmachung harmlos oder gefährlich sein. So kann eine harmlose Challenge problematisch werden, wenn die Verliererinnen und Verlierer bestraft werden (z. B. durch Schläge, Ausschluss aus der Gruppe etc.). Auch können ungefährliche Challenges schnell zur Gefahr werden, wenn sie auf gefährliche Art und Weise durchgeführt werden (z. B. Planking mit Gewichten).
  • Einige Challenges wirken auf Social Media harmlos. Sportliche Herausforderungen (z. B. über ein Hindernis springen) werden dort aber beispielsweise von Profis durchgeführt, die hart trainieren und besondere Vorsichtsmaßnahmen treffen. In den kurzen Videoclips wird dies jedoch nicht ersichtlich.
  • Zudem sind Challenge-Videos auf Social Media leicht zu fälschen. Oft handelt es sich um sogenannte Hoaxes, mit denen möglichst viele Personen hinters Licht geführt werden sollen. Je nachdem, wie gefährlich die gefälschten Challenges sind, können sie Jugendliche ernsthaft gefährden.
  • Zum Teil ist unklar, ob es manche Challenges tatsächlich gibt oder es sich nur um Hoaxes handelt. Berichterstattung und Aufmerksamkeit, die den Hoaxes gewidmet werden, machen Jugendliche darauf aufmerksam und können dafür sorgen, dass sie mit verstörenden Inhalten konfrontiert werden. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Sleepy Chicken-Challenge, in der (wahrscheinlich) scherzhaft dazu aufgerufen wurde, Hühnchen mit Fiebersaft zuzubereiten, um besser zu schlafen. Obwohl der Aufruf nicht ernst gemeint war, wurde in Medienberichten vor der Praxis gewarnt, wodurch die falsche Challenge an Aufmerksamkeit erlangte.
  • Es gibt auch gefährliche oder auch strafbare Challenges, die auf Social Media verbreitet werden. Die Blackout-Challenge (sich selbst strangulieren, bis man in Ohnmacht fällt) forderte in den vergangenen Jahren Tote und Verletzte. Auch die harmlos klingende Cinnamon-Challenge (einen Löffel Zimt in den Mund nehmen und schlucken) kann gefährlich werden, wenn der Zimt die Atemwege verstopft. Bei der KIA-Challenge (Autos der Marke KIA aufbrechen und kurzschließen) oder der Klopapier-Challenge (Schultoiletten mit nassem Toilettenpapier verwüsten) handelt es sich nicht um Scherze, sondern schlicht um Straftaten.
  • Probleme können aber nicht nur aus der Challenge selbst, sondern auch aus dem Umfeld der Jugendlichen resultieren (Mobbing, Strafen, Ausschluss aus der Gruppe bei Verweigerung).

Aus Perspektive der jugendlichen Nutzerinnen und Nutzer verblassen diese Risiken oft hinter dem Spaß und der Unterhaltung, die ihnen geboten werden. Darüber hinaus werden auf der Suche nach Zugehörigkeit und Anerkennung Risiken auch bewusst in Kauf genommen.

Identitätsfindung und Risikoverhalten im Jugendalter

Identitätsfindung ist ein lebenslanger Prozess, dem in der Adoleszenz eine besondere Rolle zukommt, da Menschen hier mit vielen Umbrüchen konfrontiert sind. Die Identität setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: Sie ist sowohl Selbstwahrnehmung, also Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit nach außen hin, als auch Identifikation mit Vorbildern, Gruppen oder Idealen. Soziale Anerkennung spielt in Bezug auf das Identitätsgefühl eine fundamentale Rolle: Durch die Bestätigung von außen vergewissern wir uns in unserer Identität. Die Pubertät stellt eine wichtige Umbruchsphase im Leben dar, in der Jugendliche ihre Identität als von ihren Eltern unabhängige Persönlichkeiten neu finden müssen. Fehlt in dieser Entwicklungsphase die sichere Bindung und Bestätigung durch elterliche Bezugspersonen und gute Freundinnen und Freunde, suchen Jugendliche vermehrt nach Identitätsstiftung durch eine Gruppenzugehörigkeit. Sie lassen sich auf der Suche nach Anerkennung schnell auf Gruppenziele ein und laufen Gefahr, alles mitzumachen.

Jugendliche neigen im Rahmen ihrer Identitätsfindung zu sogenanntem entwicklungsbedingten Risikoverhalten. Risikoverhaltensweisen sind „Handlungsmuster, die eine mutwillige Gefährdung der Person und ihrer Entwicklungschancen in Kauf nehmen, wobei auf kurzfristige Sicht die Ziele einer Selbstbestätigung und einer Anerkennung durch Gleichaltrige erreicht wird“[2]. Dabei werden Risiken bewusst in Kauf genommen. Gleichzeitig wird die eigene Fähigkeit, Gefahren zu erkennen und abzuwenden, überschätzt. Zu Risikoverhaltensweisen zählen z. B. Mutproben, die heute in Form von Challenges auch in den sozialen Medien eine bedeutsame Rolle für Jugendliche spielen. Die sozialen Netzwerke nehmen dabei zwei Funktionen ein: Zum einen wird die soziale Anerkennung, auf die die Mutproben in der Regel abzielen, durch Klicks, Likes und Kommentare zurückgespiegelt. Zum anderen verbreiten sich neue Mutproben durch Nominierungen, Empfehlungen oder Verlinkungen in den sozialen Netzwerken. So potenziert sich das seit jeher existierende Phänomen Mutprobe in den sozialen Medien.

Tipps für Lehrkräfte im Umgang mit Challenges

  • Social Media-Trends sind ständig im Wandel. Bekunden Sie Interesse und bleiben Sie mit den Schülerinnen und Schülern im Austausch, um den Überblick über aktuelle Challenges zu behalten.
  • In einem wertschätzenden und vertrauensvollen Austausch können Gefahren und Risiken angesprochen werden. Vermeiden Sie dabei Schuldzuweisungen und Bestrafungen.
  • Informieren Sie Eltern oder Kolleginnen und Kollegen, wenn gefährliche Challenges im Umlauf sind.
  • Ermutigen Sie die Jugendlichen, die Teilnahme an Challenges abzulehnen. Ebenso wichtig ist es, zu vermitteln, dass ein „Nein“ von anderen akzeptiert werden sollte.
  • Klären Sie Jugendliche über Beratungsangebote oder Anlaufstellen auf, wo sie Hilfe bei Problemen in sozialen Netzwerken finden.
  • Melden Sie jugendgefährdende Inhalte an den Plattformbetreiber oder jugendschutz.net, wenn sie Ihnen im Internet begegnen.
  • Verurteilen Sie Challenges nicht pauschal. Unterstützen Sie die Jugendlichen stattdessen bei der Suche nach lustigen, sicheren Challenges.

 

Didaktisch-methodischer Kommentar

Teil A: „Challenges – Wie funktionieren sie?“ befasst sich mit der Funktions- und Wirkweise von Online-Challenges. Der Einstieg in die Unterrichtseinheit findet über die Frage „Was ist eine Challenge?“ statt. Weiterführende Fragen könnten sein:

  • Welche Challenges kennt ihr?
  • Wo begegnen euch Challenges in eurem Alltag?
  • Habt ihr schon einmal an einer Challenge teilgenommen? Was sind eure Erfahrungen?
  • Seht ihr Gefahren oder Probleme in Bezug auf Challenges?

Ideen können beispielsweise mit einem Wortwolkentool gesammelt werden. An der Tafel hält die Lehrkraft die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Unterrichtsgespräch fest. Die von den Schülerinnen und Schülern genannten Beispiel-Challenges können im weiteren Verlauf der Unterrichtseinheit genutzt werden, um Merkmale und Funktionen von Challenges zu untersuchen. Zuvor sollte die Lehrkraft jedoch prüfen, ob die vorgeschlagenen Challenges dafür geeignet sind. Ein Lesetext fasst die Kernidee von Challenges zusammen und reißt die Probleme an, die mit Challenges im Internet einhergehen. Anschließend erarbeiten die Lernenden in Paararbeit (Arbeit zu zweit mit einer Partnerin oder einem Partner), ausgehend vom zuvor erarbeiteten Tafelbild, welche Kriterien Challenges im Netz ausmachen. In einer weiteren Arbeitsphase wird den Lernenden präsentiert, warum Jugendliche laut einer TikTok-Studie zu Challenges an diesen teilnehmen. Sie bewerten die Studienergebnissen und ordnen weitere Gründe für eine Challenge-Teilnahme nach persönlicher Relevanz. Die Ergebnisse und Einschätzungen der Lernenden können anschließend im Plenum diskutiert werden. An dieser Stelle kann auch thematisiert werden, wie die Schülerinnen und Schüler sich untereinander verhalten können, wenn sie nicht an einer Challenge teilnehmen wollen bzw. eine Freundin oder ein Freund nicht teilnehmen möchte, obwohl man es sich wünscht. Möglichkeiten, eine Teilnahme abzulehnen, können gemeinsam formuliert werden. Eine weiterführende Variante, die Lernenden zum Nein-Sagen, aber auch zum Respektieren der Wünsche anderer zu stärken, könnte eine Übung sein, in der die Schülerinnen und Schüler sich durch den Raum bewegen, sich gegenseitig Angebote unterbreiten, die sie freundlich ablehnen sollen (z. B. „Möchtest du mit mir ein Tanz-Video aufnehmen?“ – „Nett, dass du fragst, aber nein. Ich tanze nicht gerne vor anderen Personen.“ – „Okay, ich respektiere das. Danke, dass du ehrlich zu mir bist.“). Auf diese Weise üben die Lernenden, freundlich, aber bestimmt für sich einzustehen und ebenso freundlich mit Ablehnungen umzugehen.

Der zweite Teil des Moduls „Challenges, die Gutes wollen – Bist du dabei?“ zeigt den Schülerinnen und Schülern, wie (Social Media-)Challenges positiv genutzt werden können. Anhand des Beispiels der Ice Bucket-Challenge, mit Millionen Menschen weltweit zum Teilnehmen und Spenden angeregt wurden, sollen die Lernenden selbst eine positive Challenge entwerfen, mit der etwas Gutes erreicht werden kann. Das Thema sowie die angestrebte Reichweite der Challenge können die Lernenden frei wählen. Denkbar sind Challenge-Ideen die klassenintern durchgeführt werden oder darüber hinaus möglichst viele Personen ansprechen sollen. Ziel könnte es sein, Spenden für einen guten Zweck zu sammeln (z. B. das Pflanzen von Bäumen), zum Mitmachen zu motivieren (z. B. gemeinsam Müll zu sammeln) oder für etwas zu sensibilisieren (z. B. den achtsamen Umgang mit älteren Menschen). Die Challenges können mit in der Schule gängigen Gestaltungstools, der Handykamera oder Stift und Papier gestaltet werden. Die Arbeitsprodukte der Schülerinnen und Schüler können schließlich in einem Gallery Walk präsentiert und bewertet werden. Die beliebteste Idee kann in der Klasse umgesetzt werden. Ergänzend dazu können auch positive Mini-Challenges in der Klasse durchgeführt werden. Die Lernenden erhalten eine Challenge, die sie innerhalb einer bestimmten Zeit in der Klasse umsetzen müssen. Beispiele sind:

  • Bringe drei Personen zum Lachen.
  • Mache drei Mal unaufgefordert die Tafel sauber.
  • Unterhalte dich mit jemandem, mit dem du sonst nur wenig zu tun hast.

Anschließend wird über die Auswirkungen der positiven Challenges auf die Klassengemeinschaft diskutiert.

Teil C: „Gefahren im Netz – Hoaxes und Fakes“ klärt über die Gefahren auf, die sich hinter dem Phänomen der Online-Challenges verbergen. Zu thematisieren sind hier drei Aspekte: Zunächst sollten die Gefahren von Social Media-Challenges beleuchtet werden. Im Plenum kann ein TikTok mit einem Warnhinweis (Disclaimer) angeschaut werden, z. B. ein Sport-Video, das von Profis erstellt wurde. Anhand des Videos und den Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler wird in der Klassengemeinschaft diskutiert, wann Challenges gefährlich werden können. Des Weiteren erarbeiten die Lernenden anhand eines Erklärvideos, dass nicht alle Challenge-Videos auch echt sein müssen. Drittens verdeutlichen zwei Beispiel-Szenarien den Schülerinnen und Schülern, was ein Hoax ist. Die Frage, warum gefälschte Videos und Hoaxes auf Social Media zum Problem werden können, sollte im Plenum diskutiert werden. Auch hier kann auf die Erfahrungen der Lernenden mit Fälschungen und Falschmeldungen in den Sozialen Medien zurückgegriffen werden. Abschließend werden die Verhaltensrichtlinien der Plattform TikTok für den Umgang mit Challenges untersucht. Die Lernenden prüfen, inwiefern sie diese Richtlinien als sinnvoll und hilfreich erachten. Gemeinsam kann nach weiteren Verhaltensregeln gebrainstormt werden, beispielsweise mit der Think-Pair-Share-Methode.

Weiterführende Links

  • Hier informiert die Plattform TikTok selbst über den richtigen Umgang mit Social Media-Challenges.
  • Die Medienpädagogik-Initiative Schau hin! gibt Eltern Tipps für den Umgang mit Social Media-Challenges.
  • Hier finden Sie Informations- und Hilfsangebote bei Problemen mit gefährlichen Online-Challenges.
  • Diese Seite informiert Kinder und Jugendliche über (gefährliche) Challenges.


[1] So ahmten z.B. viele TikTok-Nutzerinnen und -Nutzer die Dalgona Candy-Challenge aus der koreanischen Serie Squid Game nach.

[2] Resch, F. und K. Sevecke (2018): Identität – eine Illusion? Selbstentwicklung in der Adoleszenz. In: Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 67/2018, 613–623.