• Besonderheiten im Flipped Classroom

    • Der umgedrehte Unterricht, engl. flipped classroom, bezeichnet eine Unterrichtsmethode, in der die Stoffvermittlung als Hausaufgabe mitgegeben wird. Dadurch kann die synchrone Phase, also der gemeinsame Unterricht, genutzt werden, um auf die gelernten Inhalte gezielter einzugehen, Wissen zu vertiefen und Probleme gemeinsam zu lösen.

       

      Der Vorteil dabei ist, dass der Einstieg im individuellen Tempo der Lernenden geschehen kann: Die Materialien stehen ihnen längere Zeit zur Verfügung, sodass sie sie bei Bedarf mehrfach bearbeiten können, um entweder ihr Wissen zu festigen oder entsprechende ungeklärte Sachverhalte zu finden, die sie in der synchronen Phase analysieren können.

    • Einstiege

      Der umgedrehte Unterricht sieht besonders die Einarbeitung in einer asynchronen Phase vor. Bereiten Sie die Materialien für diese Phase verständlich auf. Nutzen Sie begleitendes Bild- und Videomaterial, um andere Zugangskanäle anzubieten.

      Setzen Sie zunächst fremdes Videomaterial ein, anstelle eigenes zu produzieren. Dadurch lernen Sie, worauf es Ihnen bei den Videos ankommt, und entwickeln eigene Ideen für Ihre Medienproduktion.

      Fragen Sie auch Ihre Kolleginnen und Kollegen um Rat. Eventuell haben diese bereits Videos produziert oder haben dies bereits in Planung. Durch Ihren Anstoß finden sich so vielleicht andere Personen für eine gemeinsame Produktion und den Erfahrungsaustausch.

      Erläutern Sie den Lernenden, wie sie aktiv die Videos schauen sollen. Es handelt sich hier nicht um ein Popcorn-Format, die Lernenden sollen sich nicht einfach zurücklehnen und sich berieseln lassen, vielmehr geht es um die Vermittlung von Inhalten. Sie sollten also Notizen anfertigen und sich Fragen aufschreiben, wenn Punkte unklar sind. Formulieren Sie für einen leichteren Einstieg auch Leitfragen, die die Lernenden während des Videos beantworten sollen, und fordern Sie sie dazu auf, auch Dinge festzuhalten, die ihnen beim Video besonders gut oder nicht gefallen haben.

      Nutzen Sie gegebenenfalls einige Videos im Unterricht, um diese gemeinsam zu schauen und auszuwerten, um zunächst diesen Arbeitsprozess anzutrainieren.

      Bieten Sie Möglichkeiten, um Unklarheiten festzuhalten, beispielsweise in Form eines Forums, oder über ein Etherpad oder ein externes Tool wie Mindwendel. Letzteres können Sie gut begleitend zum Unterricht nutzen und vorab Inputs und Fragen clustern beziehungsweise mit einem Label versehen, wenn die Frage ausreichend beantwortet wurde. Der Vorteil von Mindwendel oder Etherpads ist, dass die Fragen anonym eingereicht werden können und so niemand vorgeführt wird, wenn bestimmte Aspekte nicht verstanden wurden.

       

      Bieten Sie Begleitaufgaben zu den Inhalten an! Nutzen Sie dafür Interaktionen mit H5P, beispielsweise als Interactive Video. Dabei sollten Sie lieber mehrere kleine Aufgaben anbieten und keine großen Quizzes entwickeln. Kleine Lern-Häppchen, sogenanntes Mikrolernen, mit kurzen Erfolgsmomenten erhöhen die Motivation der Lernenden.

       

      Im folgenden Video erklärt Sebastian Schmidt das Konzept vom flipped classroom. Auf seiner Website finden Sie weitere Videos und Erfahrungsberichte zu diesem Unterrichtsmodell.

       

      Video Flipped Classroom – Erklärvideo von Sebastian Schmidt | Lizenz: CC BY 4.0
    • Eigene Medien produzieren

      Für den umgedrehten Unterricht bietet es sich an, dass Sie als Lehrkraft selbst aktiv in die Medienproduktion einsteigen. Dadurch, dass Sie selbst die Informationen vortragen, fällt es Ihren Lernenden leicht, einen Zugang dazu zu bekommen. Sie brauchen in der Regel kein Profi-Equipment für einfache Aufnahmen.

      Nutzen Sie das Kollegium für den Wissensaustausch und bilden Sie ein kleines Team. Denken Sie an das Paretoprinzip und seien Sie nicht zu ehrgeizig bei der Produktion: Einfache Ergebnisse sind ausreichend, Sie brauchen kein Profi-Equipment. Die vorhandenen Geräte, beispielsweise Smartphones und Laptops oder iPads, reichen oft für die Produktion aus.

       

      Beispiel: Audiokommentare

      Eine einfache Möglichkeit ist die Aufzeichnung von Audiokommentaren. Nutzen Sie dafür Ihr Smartphone und eine ruhige, nicht hallende Umgebung. Sprechen Sie die Inhalte in Ihr Smartphone ein und kopieren Sie die Datei anschließend in Ihre Ablage in Moodle. Mithilfe des in Moodle integrierten Players können Sie mp3-Dateien im Textfeld einbinden.

      Beispiel: Screencasts

      Eine weitere Möglichkeit für eine einfache Medienproduktion ist ein Screencast. Dabei zeichnen Sie Ihren Bildschirm auf und zeigen und erläutern dabei einen bestimmten Sachverhalt, erarbeiten ein Material oder erläutern eine Abbildung. Durch die Kombination von Bild und Ton können Sie die Informationen besser transportieren, haben aber auch einen höheren Aufwand.

      Weitere Formate und Anleitungen finden Sie im Kurs Videos und Audios selbst erstellen – schnell, einfach und pädagogisch sinnvoll.

    • Ergebnissicherung und Vertiefung

      Der Unterricht beginnt im umgedrehten Unterricht mit einer Ergebnissicherung. Auch wenn Sie die Materialien gut aufgearbeitet und mit interaktiven Aufgaben bereichert haben, wissen die Lernenden gegebenenfalls nicht, ob Sie den Lernstoff verstanden haben, so wie Sie als Lehrkraft auch nicht abschätzen können, ob alle das gleiche Niveau erreichen konnten. Vermeiden Sie dennoch die reine Wiederholung der Inhalte aus dem Einstieg! Formulieren Sie für Ihren Unterricht Leitfragen und lassen Sie die Lernenden diese beantworten. Die Antworten werden gemeinsam ausgewertet und in einem Wiki oder einem Etherpad in Moodle zusammengefasst.

      Am Ende sollten sich alle Lernenden über das Gelernte im Klaren sein und in Gruppen oder einzeln an Vertiefungsübungen arbeiten. So haben Sie Zeit, von Tisch zu Tisch zu gehen, können Handlungsempfehlungen geben und die Lernenden individuell fördern.

    • Perspektivwechsel und Rolle der Lernenden

      Durch die Verlagerung der Einstiegsphase nach Hause haben Sie in Ihrer synchronen Phase mehr Zeit für die Beantwortung von Fragen, Vertiefung von Inhalten und Erarbeitung wichtiger Punkte. Der Unterricht wandelt sich so von einem größtenteils frontalen Input-Charakter hin zu einem Lern-Coaching. So können die Lernenden selbstbestimmt und in einem für sie geeigneten Tempo arbeiten. 

      Ein weiterer Vorteil ist, dass Sie als Lehrkraft sich stark wiederholende Inhalte gut aufbereiten und wiederverwenden können und Sie mehr Zeit für die Arbeit mit den Lernenden gewinnen. 

      Durch die Ausgangssituation, dass die Lernenden die Inhalte des Unterrichts schon kennen, wenn dieser beginnt, können Sie gezielter die Inhalte diskutieren lassen, beispielsweise asynchron in Foren und Wikis oder synchron in Chats und per Big Blue Button, als gesamte Klasse oder in Kleingruppen nach Teilaspekten oder nach individuellen Interessen aufgeteilt. Sie als Lehrkraft nehmen dabei die Moderationsrolle ein und können so die Diskussion in die richtige Richtung lenken.

      Die größte Sorge bei diesem Format bietet oft die Frage, ob alle Lernenden die Inhalte vorab wirklich angeschaut haben. Man neigt dann sehr schnell dazu, diese doch nochmal in der synchronen Phase zu wiederholen. Die Erfahrung zeigt, dass dies in der Regel dazu führt, dass die Lernenden noch seltener wirklich ihre Rolle ernst nehmen und noch schlechter vorbereitet sind. Gehen Sie daher wirklich nur auf konkrete Fragen ein und vermeiden Sie das reine Wiederholen der Inhalte!

    • Beispiel aus der Praxis

      Wir sprachen mit Marina Braun. Sie ist Fachlehrerin für Mathematik und Deutsch. Darüber hinaus ist sie Lehrkräftefortbildnerin für den Bereich Moodle und unterrichtet seit vielen Jahren begleitend damit.

      Wir stellten ihr folgende Fragen:

    • Ich habe Flipped Classroom Modelle angewendet. Ich weiß nicht, inwiefern Moodle die Gestaltung eines Flipped Classrooms erleichtert im Vergleich zu anderen Tools, weil ich nie versucht habe, einen Flipped Classroom über etwas anderes zu machen.

      Bei Flipped Classroom muss ich ja ein Video erstellen, in dem ich das Material erkläre. Da hat Moodle für mich keine Rolle gespielt. Beim Erstellen des Videos habe ich Software benutzt, um Videoschnitt zu machen, habe Software benutzt, um Aufzeichnungen auf dem Screen zu machen oder ähnliches, habe Notiz-Software, Visualisierungs-Software wie zum Beispiel Geogebra benutzt. Aber das habe ich alles unabhängig von Moodle gemacht.

      Wenn das Video fertig war, dann habe ich es in Moodle hochgeladen als H5P, dort eingebettet, mit Fragen versehen. Das fand ich wirklich wichtig, dass ich für dieses Flipped Classroom Modell eben nicht einfach nur den Schülern das Video gebe und sage: Hier, guckt mal das Video! Sondern dass ich schon beim Schauen des Videos das 'Wie lerne ich eigentlich mit diesem Video?', dass ich das entlaste. Also, die Möglichkeit, dort H5P einzubinden und auch zu sehen und auch das Feedback in H5P zu sehen: Wer hat da wie mit gearbeitet? Das ist mir schon relativ wichtig gewesen. Das würde aber auch in einer Umgebung wie einem Wordpress oder ähnlichem so weitergehen.

      Der Vorteil in Moodle ist, dass ich das schön datenschutzkonform direkt habe als Feedback, und dadurch eben auch zum Beispiel mündliche Beteiligung, Diagnosen und Bewertungen generieren kann. Das fand ich auf jeden Fall sehr hilfreich. Der Moodle-Kurs selber … am Anfang habe ich einfach Material reingetan und in der Zwischenzeit natürlich den Anspruch, dass das gut aussieht.

      Das ist ein bisschen wie: Am Anfang habe ich als Fachlehrerin in irgendwelchen Räumen unterrichtet. Nachher hatte ich dann irgendwann Lust, dass ich da vielleicht auch mal ein Fach-Plakat hinhänge und / oder dass ich schaue, dass der Raum nach meinen Bedürfnissen ausgerichtet ist, weil man sich da wohlfühlen soll. Genauso gehe ich im digitalen Raum immer mehr darin vor. In der Zwischenzeit mache ich mittlerweile komplexere Lernlandkarten, wo die Videos, die Teil des Flipped-Konzepts sind, nur noch eingebettet sind.

      Ich weiß nicht, ob man das dann noch als Flipped Classroom bezeichnen kann, wenn man sich loslöst von jeglichem Großgruppenunterricht und die Schüler*innen immer nur noch individualisiert, im selbstständigen Tempo an den Materialien arbeiten lässt. Dann würde ich sagen, dass Moodle mir an dieser Stelle hilft, solche Kurse zu machen, dadurch, dass es sehr frei ist. Ich kann sehr einfache Kurse machen, die halt optisch noch nicht so wahnsinnig aufwendig sind, die mich auch nicht so viel Zeit kosten, aber Moodle deckelt mich nicht, sondern gibt mir die Möglichkeit, frei nach oben zu skalieren, je nachdem, wie meine eigene Medienkompetenz ist.

      Das finde ich eigentlich sehr angenehm, dass ich das Gefühl habe: Ich kann hier jetzt sehr viel Zeit reinsetzen und viel können, ich muss aber nicht! Mein Flipped Classroom, meine Didaktik funktioniert auch schon bei kleineren Ansätzen. Das ist eigentlich der große Vorteil von Moodle, dass es eine sehr lange Lernkurve hat.


    • Die Rolle des Lehrers verändert sich bei einem reinen Flipped Classroom, finde ich, nicht so besonders stark. Ich habe immer noch einen Input, einen Lehrer-Input, der gegeben wird. Der ist dann halt jetzt in Form eines Videos. Dann habe ich eine Lehrerbegleitung beim Üben, das heißt, wenn die Schüler im Klassenraum sind. Dann bespreche ich Einzelfragen, gehe rum, begleite, helfe beim Lösen der Aufgaben oder ähnlichem. Das ist immer noch das, was ich als Lehrer die ganze Zeit gemacht habe.

      Nur, dass ich sonst ohne dieses Flipped Classroom Modell den Input in der einen Stunde gegeben habe, dann die Übung angefangen habe, die Schüler haben die Übung Zuhause gehabt. Ich habe weniger Möglichkeiten gehabt, gerade bei schwachen Schülern korrigierend einzugreifen und habe es dann in der nächsten, in der Folgestunde quasi mit dem Besprechen und dem Weiterüben gemacht. Ich habe auch viele Stunden dann, in denen ich keinen Input gebe und einfach nur übe oder reflektiere oder ähnliches. 

      Das Flipped Classroom Modell entlastet mich von diesem Vortragen. Ich habe auch den Vorteil, dass der Vortrag einmal richtig gut durchdacht ist und nicht jedes Jahr wieder so halb aus dem Stegreif kommt. Ich glaube, dass das zur Qualitätssteigerung von Unterricht beiträgt. Ich habe gemerkt, dass es in meinem Fall dazu geführt hat, dass meine Lehrervorträge fehlerfreier geworden sind, mir passieren halt keine Flüchtigkeitsfehler in einem Video. Aber an einer Tafel, wenn ich das live 'on the go' vorrechne, natürlich schon.

      Ich bin komprimierter in meinen Vorträgen, also dass ich für die Schüler die 'Häppchen' kleiner mache, aber gleichzeitig auch, ich würde sagen, gehaltvoller. Dann ist halt so in 5 Minuten richtig knackig was los. Die Schüler brauchen für ein 5-Minuten-Video, was ich gemacht habe, dann auch durchaus mal 90 Minuten, um das zu gucken und zu bearbeiten.

      Ich habe tatsächlich dann auch schon gehabt, dass ich in Kursen, die sehr, sehr schwach waren, gestattet habe, dass die Videos nicht in Vorbereitung geguckt werden, sondern in der Stunde, und die Übungen dann in der Folgestunde gemacht worden sind, weil es nicht möglich war, dass dieser Kurs quasi Hausaufgaben alleine gemacht hat. Dafür waren sie fachlich zu schwach. 

      Das hat eigentlich auch ganz gut funktioniert, dass die Schüler dann eben in ihrem eigenen Tempo meinen Vortrag gucken konnten. Die wichtigste Bedingung dafür ist, dass alle ein eigenes Endgerät haben und Kopfhörer, sonst bekommt man einen Rappel, wenn man seine eigene Stimme 20 Mal im selben Raum hört.

      Ansonsten, was hat Moodle damit zu tun? Ich würde nicht sagen, dass das spezifisch Moodle sein muss, es muss halt ein LearningManagement-System sein! Sodass ich sagen kann: Wenn du dieses Video geguckt hast, dann bekommst du diese Sachen freigeschaltet. Wenn du das Video mit einer Punktzahl von unter 50% hast, dann musst du erstmal das noch machen und dann gibt es ein Zusatz-Erklärvideo. All das, was mit didaktischer Gestaltung zu tun hat und auch so ein bisschen mit automatisierten Reaktionen mit den Sachen, die der Schüler bei mir abliefert, weil: Ohne diese automatisierten Reaktionen habe ich einfach so wahnsinnig viel Arbeit, dass ich glaube ich nicht so richtig damit klar kommen würde.

      Das ist wichtig, dass Moodle mir die Möglichkeit gibt, ohne, dass da eine KI oder so im Hintergrund ist, aber eben trotzdem meine didaktischen Entscheidungen, meine Planungen für die einzelnen Schüler umzusetzen, ohne dass die Schüler dabei sich durch die tausend Möglichkeiten durchklicken müssen, weil ich eben mit den Sichtbarkeiten arbeiten kann. Und weil ich insgesamt gleichzeitig eben sehr transparent sein kann, aber auch sehr – ich möchte nicht sagen: lenkend, sondern: sehr strukturierend.

      Also, auf der einen Seite habe ich sowohl die Transparenz: Was passiert hier? Was musst du machen? Und auf der anderen Seite habe ich die Struktur: Hier läufst du jetzt längs, hier kannst du jetzt längs laufen, je nachdem wie viel Eigengverantwortung ich im Unterricht jetzt gerade zulasse.


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      Die Aufnahmen stehen unter der Lizenz CC BY 4.0. Für die Namensnennung soll genannt werden: Marina Braun für Agentur J&K – Jöran und Konsorten im Auftrag des Niedersächsischen Landesinstituts für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ Hildesheim).