Alternative Prüfungsformate für zeitgemäßes Lernen
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Das Denk-Instrument „Schieberegler“: Acht Stellschrauben zur Veränderung von Prüfungsformaten
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Thema dieser Lerneinheit
Die Kultur der Digitalität bedingt den Einsatz neuer Prüfungsformate. Wie diese aussehen können, wird in diesem Kurs anhand von Schiebereglern aufgezeigt. Sie beschreiben jeweils die Spanne zwischen klassischen Prüfungsformaten und neuen Methoden der Abfrage. Mehr zu dem Gedankenmodell der Schieberegler erfahren Sie in diesem Audio-Interview.
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Jöran Muuß-Merholz: Was heißt das konkret: zeitgemäße Prüfungskultur? Wie kann es konkret aussehen: zeitgemäße Prüfungsformate? Es gibt eine Logik, eine Denkhilfe, eine Metapher: die Schieberegler des Instituts für zeitgemäße Prüfungskultur. Wir sprechen mit zwei Leuten, die die mit erfunden haben, mit weiterentwickeln, sehr gut erklären und auch diskutieren können. Das sind Patricia Drewes, sie ist didaktische Leitung am Gymnasium Bethel, daneben ist sie auch in der Ausbildung und in der Schulentwicklungsberatung tätig. Außerdem Hendrik Haverkamp, Koordinator für eine Kultur der Digitalität am Evangelisch Stiftischen Gymnasium in Gütersloh. Ganz herzlichen Dank, dass ihr uns mitnimmt auf die Schieberegler, die wir hier auch gleich zeigen werden. Die Schieberegler sind für mich, wenn ich das richtig verstanden hab, eine Art Denkinstrument für eure Arbeit. Wie würdet ihr erklären: Was sind die Schieberegler, wie funktionieren sie?
Hendrik Haverkamp: Die Schieberegler basieren ja im Prinzip auf der Grundannahme, dass es recht traditionelle Formen der Leistungsbewertung, die sich schon seit vielen Jahrzehnten etabliert haben, und dass es jetzt eben auch neuere Formen oder alternative Formen der Leistungsbewertung gibt, und wir haben versucht, sozusagen die Pole mal sozusagen so gegenüber zu stellen, und zwar in verschiedenen Bereichen. Das fängt an, zum Beispiel, wenn ich mir die Zeit genauer anschaue, dann ist das bereits traditionell in den Klassenarbeiten: normalerweise immer ja so ne 45 oder 90 minütige Arbeitsphase, wo die Schülerinnen und Schüler eine Klassenarbeit schreiben. Und wenn man mal schaut, dass das ja im Prinzip auch anders gehen könnte, dass es entgrenztere Zeiträume gibt, dann sind das sozusagen die beiden Pole für diese Schieberegler. Oder auch beim Ort: normalerweise geht man davon aus, dass Klassenarbeiten immer auch im Klassenraum geschrieben werden, aber jetzt bei der Corona-Pandemie war es gar nicht möglich, dass Schülerinnen und Schüler in Klassenräumen zusammensitzen und dort schreiben. Da hat sich eben gezeigt, dass es auch ganz andere Orte gibt, wo Schülerinnen und Schüler Klassenarbeiten schreiben können. Das muss nicht unbedingt ne Schule sein, das kann auch Zuhause sein, oder das können auch unterschiedliche Orte sein. Und so haben wir sozusagen versucht, mal die verschiedenen Dimensionen, die Klassenarbeiten normal im herkömmlichen Sinne ausmachen, aufzugliedern und aufzuschlüsseln und mal zu gucken: Wie können wir die vielleicht auch anders denken? Wir haben uns damals ein bisschen orientiert auch an den Schiebereglern, die es im Vorfeld gab von Philippe Wampfler, Axel Krommer und Wanda Klee zum Distanzunterricht, und haben uns da sozusagen Inspirationen abgeholt, zumindest was die Metapher-Ebene betrifft, mal sie doch wirklich mal auf Klassenarbeiten, Klausuren anzuwenden, und das war sozusagen die ursprüngliche Idee für die Schieberegler – und jetzt kommen eben noch neue, immer neue Dimensionen hinzu und man kann aber diese, diese Schieberegler ganz gut nehmen und kann eben versuchen, sich da zu überlegen, sie bei der Konzeption von Klassenarbeiten mal ein Stück weit vielleicht zu den alternativen Formaten hier herumzuschieben, wie so ein DJ an einem Mischpult. Es wäre glaube ich falsch zu sagen: wir müssen jetzt alle auf die rechte Seite zu den zeitgemäßen Formaten rüberschieben. Das würde glaube ich zu einer ständigen Überforderung der Kolleginnen und Kollegen, aber auch der Schülerinnen und Schüler,die jetzt ja seit Jahrzehnten andere Formate kennengelernt haben, führen, aber es soll sozusagen die Möglichkeit bieten, zum einen, die eigenen Klassenarbeiten nochmal zu reflektieren oder ins Gespräch zu kommen mit den Fachschaften, oder das auch zu nehmen um mit Schülerinnen und Schülern ins Gespräch zu kommen, weil die haben meistens noch ganz kreative Ideen, wie sie ihre Kompetenzen nachweisen können.
Jöran Muuß-Merholz: Jetzt kann mir vorstellen, dass nicht alle Menschen, die das Video gucken, DJ-Erfahrung haben, und generationstechnisch können wir vielleicht alle auch noch was mit einem Equalizer oder so etwas anfangen, aber für die Leute, die es nicht kennen: Schieberegler heißt ja nicht: Das ist ein Schalter, wo ich was sozusagen zwischen schwarz und weiß umschalte. Sondern, wie würdet ihr das jetzt einem vollkommen DJ- und Equalizer-unerfahrenen Menschen erklären?
Hendrik Haverkamp: Das sind ganz fließende Übergänge. Vielleicht kann ich das mal an einem Beispiel deutlich machen. Wir hatten in einer achten Klasse, da sollen die Schülerinnen und Schüler einmal sagen, was sie so für Sorgen und Ängste vor Klassenarbeiten haben. Da kamen, was ich finde, ganz erstaunliche Ergebnisse dabei heraus. Die größte Sorge war nämlich nicht die schlechte Note, sondern die große Sorge war die Zeit, also, dass sie es nicht schaffen, in der begrenzten Zeit fertig zu werden. Wir haben dann gesagt: Wir drehen vielleicht mal am Schieberegler “Zeit”, wir nehmen uns einfach mal mehr Zeit, wir nehmen uns mal einen halben Schulvormittag Zeit, um die Klassenarbeit zu schreiben, wir gucken mal, ob wir dann vielleicht besser zurechtkommen. Und es war dann so, dass wir gesagt haben: Wir machen das jetzt nicht über einen längeren Zeitraum, sondern wir haben da einfach mal jetzt eine Stunde zusätzlich reingegeben. Es wäre auch möglich, dass man sagt, man macht eine ganze Woche, oder: Björn Nölte hat mit seinem Extremfall “Master or Die”, da macht er ein halbes Jahr lang und gibt den Schülern ein halbes Jahr lang Zeit. Also, da sieht man schon, diese Spannbreite ist extrem groß, extrem variabel, und man kann jetzt auch nicht sagen, was was bedeutet, denn ich den schieberegler ein Viertel nach rechts rüberschiebe, was hat das jetzt für eine Bedeutung, das ist viel zu technisch gedacht, es ist wirklich einfach nur als Reflektionsinstrument, zu überlegen: Welche Möglichkeiten habe ich jetzt, meine Klassenarbeiten zu flexibilisieren. Und man kann jetzt nicht sagen: Das bedeutet jetzt, wenn ich ihn auf Mitte gestellt habe, bedeutet es das und das. Also, so ist das überhaupt nicht zu verstehen, und das ist einfach nur, man soll darüber nachdenken, was das vielleicht auch für Konsequenzen haben könnte, wenn ich den Schieberegler nicht ganz links habe, da, wo ich ihn normalerweise immer habe, sondern, wenn ich vielleicht ein Stück mal weiter rüber schiebe.
Jöran Muuß-Merholz: Ich habe jetzt verstanden, dass man schon einfach ein Stück weit einen Schieberegler verändern kann, um zu sehen, was dann passiert. Das heißt aber nicht, dass es keinen Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Reglern, die wir hier sehen, gibt, oder?
Hendrik Haverkamp: Es gibt da in der Tat Zusammenhänge, also, ganz einleuchtend ist es sicherlich, wenn ich den Raum verändere, wenn ich den Schülerinnen erlaube, zum Beispiel auch ihre Klassenarbeit Zuhause zu schreiben, dann entsteht natürlich auch die direkte Kontrolle. Da sieht man glaube ich ganz gut Zusammenhänge. dann muss ich halt mehr Vertrauen haben und kann weniger kontrollieren, wenn ich die Schülerinnen und Schüler nicht in der direkten Aufsicht habe, und da sieht man schon, dass die hier sicherlich auch zusammenhängen, dass sie, wenn ich einen Schieberegler bewege, teilweise eben auch einen anderen Schieberegler mit rüberziehe, automatisch.
Patricia Drewes: Vielleicht, um mal noch ein anderes Beispiel zu nehmen: Wenn wir jetzt, es haben ja relativ viele Schulen und auch Hochschulen, jetzt insbesondere in dem Corona-Winter, so Open Media Klausuren geschrieben und wenn ich jetzt sage, ich lasse Hilfsmittel zu und Schülerinnen und Schüler können einfach beliebig irgendwo das Netz für deklaratives Wissen oder für Wissensbestände nutzen, dann kann ich natürlich die reproduktiven Anteile nicht mehr so hoch bewerten. Das heißt irgendwie, man muss dann weg von geschlossenen Aufgabenformaten hin zu eher offeneren, also zur erwartungs-offeneren und prozess-offeneren Formaten gehen, und deswegen: Wenn man einen Regler anfasst: in der Regel schwingen andere Regler mit.
Jöran Muuß-Merholz: Wir werden in den Videos, die noch zu dieser Reihe gehören, die Schieberegler in jeweils einzelnen Videos vorstellen. Damit man das auch mit dem eigenen Denken verbinden kann. Könnt ihr vielleicht als diejenigen, die schon einen Denkvorsprung haben, die das schon kennen, kurz erzählen, wie das bei euch funktioniert hat? Wir haben die Schieberegler sich in euer Denken integriert?
Hendrik Haverkamp: Das ist prinzipiell schon so ein kleiner ‘behind the scenes’, schon vielleicht vorweg genommen. Die Schieberegler sind eigentlich eine Erfindung, die sich bei uns sozusagen aus der Situation ergeben hat, dass wir gesagt haben: Bei unserer schule ist Lernen wichtiger als Prüfen. In Gütersloh hatten wir im Prinzip seit März 2020 gefühlt Dauer-Lockdown und als die Schülerinnen und Schüler dann im neuen Schuljahr in die Schule gekommen sind, haben wir gesagt: Wir können die, die jetzt ein halbes jahr lang keine Klassenarbeiten geschrieben haben, da können wir die nicht mit normalen Klassenarbeiten überfallen sondern müssen etwas anderes überlegen. Dann war eben die Idee: Wir müssen das mit den Schüler*innen zusammen entwickeln. Und darüber sind dann im Prinzip diese Schieberegler auch entstanden, eigentlich aus der Diskussion mit Schülern heraus. Wie sehen denn jetzt eigentlich für euch zeitgemäße Prüfungen aus? Und darüber sind dann im Prinzip diese Schieberegler so nach und nach entstanden natürlich durch Input auch von den Lehrern, aber auch viel Input durch Schülerinnen und Schüler, und ich wiederhole mich da auch gerne nochmal: es ist unglaublich gewinnbringend, sich mit Schülern über Klassenarbeiten zu unterhalten, weil die oft viel strenger sind. Das war zum Beispiel die Frage zum Thema Hilfsmittel: Wollen wir auch zulassen, dass man sozusagen telefonieren darf? Da haben die Schüler gesagt: Wollen wir nicht, weil wenn das zulässig ist und ich ruf noch meine Eltern an, dann erfahren sie eigentlich nur, was meine Eltern können und nicht das, was ich kann, und das haben die sozusagen für sich selbst persönlich ausgeschlossen. Und man lernt unglaublich viel, wenn man sich mit den Schülerinnen und Schülern unterhält, die ja die Leidtragenden sozusagen dieser Prüfungskultur sind, weil sie einem doch relativ genau sagen können, wovor sie Angst haben, und auch, was sie gut finden, aber gar nicht unbedingt weil sie eine gute Note haben wollen, sondern weil sie zeigen können wollen, was in ihnen steckt.
Jöran Muuß-Merholz: Patricia, hast du noch ein Beispiel, wie die Schieberegler in deinem Alltag vorkommen?
Patricia Drewes: Also, ich habe gerade zurückgedacht, als ich das erste Mal wirklich bewusst mit den Schiebereglern Prüfungen reflektiert habe. Wir sind ja Nachbarkommune von Gütersloh, waren auch gefühlt ewig im Lockdown und hatten eigentlich die Auflage, die besteht ja weiterhin, wir müssen irgendwo Leistung erfassen, und ich habe dann einfach mal begonnen, also, ich hab als zweites Fach Geschichte der Oberstufe, ganz konkret einfach mal, Material zuzulassen, also wirklich Open Media sozusagen, also: Es gibt Hilfsmittel, jedes Hilfsmittel ist erlaubt und deswegen so der Punkt, zu sagen: ich fange erstmal mit einem Schieberegler an und bewege den ein bisschen nach rechts und gucke, was dann passiert. Und so meine sehr faszinierende Erfahrung dabei war: Das ist immer so, was Schüler sowieso sagen in Geschichte, ich kann mir diese Zahlen leider nicht merken um Gottes willen und ich krieg alles nicht auf die Reihe; dass plötzlich viel mehr Zeit entstanden, ist um zu reflektieren, um ein eigenständiges Sach- und Werte-Urteil zu bilden, was sonst irgendwo immer nur noch hinter dem ganzen reproduktiven Teil irgendwo hinten dran geflanscht wird, nahm plötzlich mehrere Seiten ein, weil man ja irgendwo mit diesen deklarativen Wissensbeständen einmal die abrufen konnte und konnte einfach gucken: Was brauche ich dafür, irgendwo beispielsweise um eine Quelle zu kontextualisieren? Das ist ein Beispiel, wo ich jetzt sagen würde: Das ist etwas, was in jedem Fall erlaubt ist, wenn die Hilfsmittel für alle auch zur Verfügung stehen, alle die gleichen haben. Einfach mal probieren, würde ich sagen, im Alltag, einfach mal paar Zentimeter [den Regler] nach rechts schieben, und immer – meines Erachtens hat das auch ganz viel, ja nicht.. doch, mit Mut zu tun, irgendwo, es erst auszuprobieren auf Klassenebene, dann auf Jahrgangsebene, mit Kolleginnen und Kollegen darüber sprechen, und mit Eltern ins Gespräch kommen ist glaube ich auch so ein Faktor, weil die auch oft so sehr subjektive Bilder von Unterricht und von Prüfen haben, wenn sich da etwas bewegen soll.
Hendrik Haverkamp: Und diese Schieberegler sind auch im Prinzip gar nicht abgeschlossen: Wir haben ganz gewinnbringenden Austausch mit Felix Winter geführt, der uns auch noch mal so ein bisschen die Augen geöffnet hat, gesagt hat, man müsste im Prinzip auch nochmal diese Diagnosefunktion von diesen Leistungsüberprüfungsformaten ins Auge nehmen. Und auch das ließe sich sicherlich als Schieberegler abbilden. Also, wir sind da total offen und auch dankbar für weiteren Input, und das ist sicherlich nicht abgeschlossen, und es ist ein offenes System, was jederzeit auch adaptiert werden kann.
Jöran Muuß-Merholz: Wir werden uns zu dritt noch mal zusammensetzen, um ein Video für den Abschluss dieser Videoreihe zu machen, dazwischen kommen viele Videos zu den einzelnen Reglern. Ganz herzlichen Dank bis hierhin an Patricia Drewes und Hendrik Haverkamp!
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Expertin und Experte
Patricia Drewes, Didaktische Leitung am Gymnasium Bethel, daneben in der Lehramtsausbildung und Schulentwicklungsberatung tätig.
Hendrik Haverkamp, Koordinator für eine Kultur der Digitalität am Evangelisch Stiftischen Gymnasium Gütersloh
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Audio Update: Entwicklungen seit 2021
Die Aufnahmen mit dem Institut für zeitgemäße Prüfungskultur entstanden Ende 2021. Seitdem ist viel passiert, sowohl in der Schule als auch in der Gesellschaft. Was bedeutet dies für eine veränderte Prüfungskultur? Wir stellten Patricia Drewes, Mitglied im Vorstand des Instituts für zeitgemäße Prüfungskultur, folgende Fragen:
- Inwiefern gibt es Veränderungen, beispielsweise durch die Ergänzung der KMK vom Dezember 2021 oder durch die Corona-Erfahrungen an Schulen?
- Gibt es wichtige Neuerungen, die seit der Aufnahme Ende 2021 unbedingt erwähnt werden müssen?
- Gibt es Updates zum Schieberegler-Modell? Kamen neue Regler hinzu oder gab es zu den jeweiligen Reglern neue Erkenntnisse?
- Was wünschst Du Dir für die weitere Schulentwicklung?
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Patricia Drewes: Ja, ich freue mich, dass ich ein Update zum Thema Prüfungskultur geben darf, nachdem wir 2021 zuletzt miteinander gearbeitet haben. Seitdem ist ja einiges passiert.
Beispielsweise hat die KMK ein Ergänzungspapier herausgegeben im Dezember 2021, das unserer Arbeit noch Mal deutlich den Rücken gestärkt hat, weil man sich in diesem Papier ja sehr sanft von gegenwärtig dominierenden Prüfungsformaten verabschiedet. Also, von analogem Material, festgelegten Zeiträumen, Einzelarbeit und Handschrift, und auch künftige Formate in den Blick nimmt.
Und da wird auch sehr deutlich sagt, dass Kompetenzen überprüft werden sollen, die zur Durchdringung und Gestaltung der digitalisierten Welt notwendig sind.
Die 4K werden ebenso erwähnt wie metakognitive Fähigkeiten und das, was ich für ganz wichtig halte, ist auch die Anerkennung mündlicher Kommunikation als gleichwertige Prüfungsleistung.
Ganz viele dieser Grundgedanken findet man auch im Impulspapier 2 des Landes NRW von Anfang 2022, da gibt es verschiedene Entwicklungsbereiche. Einer lautet „Zukunftsgerichtete Gestaltung von Unterricht und schulischen Lernprozessen“, und auch dort ist wiederum die Rede von der Erprobung und Weiterentwicklung von Formen der Leistungsüberprüfung.
Beides betrachten wir als Institut als sehr, sehr positiv.
Im Vergleich zu 2021 nehmen wir auf verschiedenen Ebenen eine Verbreiterung und Konsolidierung des Nachdenkens über zeitgemäße Prüfungskultur wahr. Wir waren unterwegs, überall in Deutschland, zu Vorträgen und Lehrerfortbildungen, und wir haben das Thema „Lernförderlich unterrichten und Leistung überprüfen“ zum einen auf der Ebene ganz vieler Einzelschulen angestoßen, zum anderen aber, und das ist meines Erachtens etwas, was mindestens genauso wichtig ist, dass wir gemeinsam in Modellprojekten und Netzwerken mit der lokalen Bildungsadministration zusammenarbeiten und mit Hochschulen kooperieren, weil beides für uns systemisch wichtige Begleitpartner sind und das ganze für uns auf etwas solidere Füße stellen.
Wenn ich Mal einen Blick auf die verschiedenen Regler werfe, dann erscheint es mir immer noch so, dass die Schieberegler ein sehr, sehr wichtiges Reflexionsinstrument sind, und das wird mittlerweile auch sehr gerne genutzt an Schulen, wenn ich da Lehrerinnen und Lehrer spreche, um Lernen und Leistungsprozesse für Gruppen zu gestalten und auch zu reflektieren.
Ich würde für mich selbst sagen, dass die oberste Maxime „So viel Vertrauen und Freiheit wie möglich, so viel Kontrolle und Struktur wie nötig.“ insbesondere im Kontext von künstlicher Intelligenz noch einmal an Bedeutung gewinnt, weil es auch hier wieder darum geht, Schülerinnen und Schüler in Lernprozessen zu begleiten, ihnen zu vertrauen, statt das Digitale, digitale Tools und Hilfsmittel, vor der Schultür auszusperren.
Mit Blick auf die übrigen Parameter, auf die Einzelregler, sehe ich im Alltag, dass selbst bei Kolleginnen und Kollegen, die gewissenhaft sämtliche schulrechtliche Rahmenbedingungen einhalten – das ist ja beispielsweise, dass Einzelleistung erkennbar ist, dass Raum und Zeit festgelegt sind und dass es bestimmte Aufgabenformate gibt – das heißt: Selbst, wenn das eingehalten wird in den Falten des Systems, viele Spielräume vorhanden sind, die die Kolleg*innen auch zunehmend sinnstiftend nutzen. Wenn es jetzt darum geht, einen unbenoteten Testblock vorzuschalten oder eine Klassenarbeit oder Klausur mit Lernprodukten zu verknüpfen, die vorher erstellt wurden, da sind die Spielräume im Rahmen rechtlicher Möglichkeiten auch gegeben.
Für die weitere Schulentwicklung: Da ist mein Blick aktuell vielleicht etwas getrübt, ich habe nämlich ein bisschen Sorge, dass durch die aktuelle Diskussion um den Lehrermangel die Fragen der Qualität des Lernens und des Ermöglichens von Leistung auch so ein Stück weit nach hinten rutschen, weil Mängelverwaltung aktuell wichtiger ist als die Qualität dessen, was wir tun. In Zeiten der Krise neigen Organisationen auch gerne dazu, in altgewohnte Handlungsmuster zurückzukehren – nicht, weil diese Handlungsmuster sich als besonders erfolgreich erwiesen hätten, sondern weil man diese Muster kennt. Da muss man meines Erachtens höllisch aufpassen.
Für die weitere Schulentwicklung wünsche ich mir ein gleichsinniges Vorgehen von Schulen, von Einzelschulen, Bildungsadministrationen und Bildungspolitik, so wie wir es derzeit in NRW erleben. Das nehme ich sehr positiv wahr. Ich wünsche mir das aber auch bundesweit.
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Die Schieberegler als Denk-Instrument
Die Idee der Schieberegler wurde durch einen Artikel von Christian Albrecht inspiriert, der im Buch „Hybrides Lernen“ veröffentlicht wurde. Es hängen meist mehrere Regler zusammen, die sich gegebenenfalls nur miteinander verschieben lassen.
Deshalb, und um sich selbst und die Prüflinge nicht zu überfordern, sollten Sie nach und nach das Verschieben der Regler ausprobieren. So können Sie auch herausfinden, wo wann geschoben werden kann, ohne ihre Lernenden oder sich selbst zu überfordern.
Der Veränderungsprozess soll die Möglichkeit bieten, das eigene Arbeiten zu reflektieren und mit der Fachschaft, den Lernenden und ggf. sogar mit den Eltern in einen kreativen Austausch über Prüfungsformate zu treten. So können Lernende mitgestalten, was sie brauchen, um zu zeigen, was in ihnen steckt. Nebenbei können auch Ängste reduziert und damit bessere Leistungen ermöglicht werden.
„Vertrauen“ stellt keinen eigenen Schieberegler dar, es gibt aber verschiedene Möglichkeiten, den Schülerinnen und Schülern über die Art der Fragestellung Vertrauen entgegenzubringen und dieses auch selbst zu erhalten. Proctoring, also technikbasierte Überwachung, ist in diesem Zusammenhang kritisch zu betrachten.
Die Entwicklung der Schieberegler ist nicht abgeschlossen. Mit Felix Winter wurde in „Lerndialog statt Noten“ bereits angefangen, darüber nachzudenken, wie die Diagnosefunktion von Prüfungen als weiterer Regler abgebildet werden kann. Die Schieberegler stellen also ein offenes System dar, das adaptiert und abgewandelt werden kann.
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Exkurs: Kompetenzen des 21. Jahrhunderts
Im Zentrum einer alternativen Prüfungskultur stehen die 4K, also Kompetenzen, die im 21. Jahrhundert erforderlich sind. Diese umfassen kritisches Denken, Kreativität, Kommunikation und Kollaboration. Eine Erklärung finden Sie im folgenden Video.
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Exkurs: Rechtliche Lage in Niedersachsen
Je nach Schulform erfolgt die Bewertung von Leistungen der Lernenden aufgrund von Lernfortschritten und Lernergebnissen durch mündliche, schriftliche oder andere fachspezifische Lernkontrollen sowie durch kontinuierliche Beobachtung der Lernprozesse.
In der Grundschule treffen die Fachkonferenzen Absprachen über die Formen der Leistungsmessung und -bewertung. Die verbindliche Anzahl schriftlicher Arbeiten ist in den Kerncurricula zu den einzelnen Fächern zu entnehmen.
Für die Sekundarstufen I und II sind schriftliche Lernkontrollen je nach Unterrichtsfach und Schuljahr in einer bestimmten Anzahl verpflichtend. Diese können als klassische Klassenarbeiten bzw. Klausuren erfolgen. Nach Beschluss der Fachkonferenz kann pro Schuljahr aber auch eine andere Methode gewählt werden, die schriftlich oder fachpraktisch zu dokumentieren und mündlich zu präsentieren ist. (Quelle: Niedersächsisches Kultusministerium, abgerufen am 20.02.2023) -
Fachliteratur zur Vertiefung: Empfehlungen der Expertinnen und Experten
- Christian Albrecht: Prüfungsformate im digitalen Wandel, in: Philippe Wampfler, Wanda Klee et al. (Hrsg.): Hybrides Lernen, S. 130-146.
- Silvia-Iris Beutel / Hans Anand Pant: Lernen ohne Noten – Alternative Konzepte der Leistungsbeurteilung
- Eiko Jürgens/ Urban Lissmann: Pädagogische Diagnostik – Grundlagen und Methoden der Leistungsbeurteilung in der Schule
- Philippe Wampfler: Digitales Schreiben – Blogs und Co im Unterricht
- Felix Winter: Lerndialog statt Noten – Neue Formen der Leistungsbeurteilung
- Felix Stalder: Kultur der Digitalität
Artikel und Podcasts zum Thema
- Deutsches Schulportal: Neue Prüfungsformate
- Deutsches Schulportal: Referendariat – Kaum einer mag Prüfungen – muss das so sein?
- Blogartikel: Zeitgemäße Prüfungsformate für den Distanzunterricht (am Beispiel des Faches Deutsch in NRW)
- EduFunk Podcast: Neue Prüfungsformate braucht das Land
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Jetzt sind Sie dran!
Informieren Sie sich bei Ihren Fachgruppen über aktuelle Umsetzungen und Möglichkeiten zu zeitgemäßen Prüfungen. Besprechen Sie sich mit Ihren Kolleginnen und Kollegen, inwiefern diese bereits Prüfungen verändert und welche Erfahrungen sie damit gemacht haben.
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