Modul 02
Medienkulturgeschichte, -theorie und -ethik
3. Medienkulturgeschichtlicher Wandel
3.3. Die digitale Revolution
Marshall McLuhan prägte den Mediendiskurs seit den 1960er Jahren bis zu seinem Tode im Jahr 1980. Entsprechend seiner Wirkungszeit fokussiert McLuhan vor allem das Fernsehen als neuestes Medium, wenngleich er mit seinem Ansatz des globalen Dorfes angesichts unseres Zeitalters der Digitalisierung erstaunliche Weitsicht bewiesen hat.
Auch dem italienischen Philosophen Luciano Floridi geht es um die Auswirkungen neuer Technologien auf unsere Gesellschaft, jedoch nimmt er - anders als McLuhan - in erster Linie deren Effekte auf das philosophische Selbstverständnis des Menschen in den Blick, das vor der Digitalisierung bereits drei Mal einem fundamentalen Wandel unterworfen war:
- Die kopernikanische Revolution rückte die Sonne statt der Erde in den Mittelpunkt unseres Sonnensystems (und war dafür verantwortlich, dass wir das Wort Revolution = lat. Umdrehung, Umwälzung als Bezeichnung für umwälzende wissenschaftliche Transformationen verwenden).
- Die darwinsche Revolution rückte im Zuge der Evolutionstheorie von Charles Darwin nach der Erde nun auch den Menschen aus dem Mittelpunkt der 'Schöpfung'.
- Die freudianische oder neurowissenschaftliche Revolution vertrieb den Menschen aus dem "Zentrum des Bereichs des reinen und transparenten Bewusstseins" (Floridi 2015, S. 124), indem Freud mit seinen psychoanalytischen Überlegungen über Unbewusstsein, Verdrängung, ICH, ES und ÜBER-ICH aufzeigte, dass der Mensch eben nicht immer Herr über seine Gedanken war.
Namenspate der vierten Revolution ist Alan Turing. Er steht für das Zeitalter der Digitalisierung und für den Übergang der Menschheit von der Gutenberg-Galaxis McLuhans in die Turing-Galaxis der Digitalisierung, die uns "aus unserer privilegierten und einzigartigen Position im Bereich des logischen Denkens, der Informationsverarbeitung und des smarten Agierens" (Floridi 2015, S. 128) vertreibt.
"Wir sind nicht mehr die Herren der Infosphäre. Unsere digitalen Geräte führen immer mehr Aufgaben aus, die uns Denken abverlangen würden, wenn wir für sie zuständig wären. Einmal mehr waren wir gezwungen, eine Position preiszugeben, von der wir dachten, sie sei 'einzigartig' und komme allein uns zu. [...] Nach Turings bahnbrechender Arbeit haben die Computerwissenschaften und die mit ihr zusammenhängenden IKT [= Informations- und Kommunikationstechnologie] unser Verstehen nach innen wie nach außen nachhaltig beeinflusst. Sie erlaubten uns beispiellose Einsichten in natürliche und künstliche Realitäten und gaben uns die technischen Möglichkeiten zu ihrer Beherrschung gleich mit an die Hand. Und sie haben ein neues Licht geworfen auf die Frage nach uns selbst, darauf, wer wir sind, wie wir mit der Welt und zueinander in Beziehung stehen und somit auch, wie wir uns selbst begreifen. Wie schon die vorangegangenen drei Revolutionen beseitigte auch die vierte ein Missverständnis bezüglich unserer Einzigartigkeit [...]. Wir sind [...] informationelle Organismen (Inforgs), untereinander wechselseitig verbunden und gemeinsam Teil einer informationellen Umwelt (der Infosphäre), die wir uns mit anderen informationellen Akteuren gleichfalls logisch und selbstständig verarbeiten."
(Floridi 2015, S. 128f.)