Der erste Schritt zum Verstehen der fachsprachlichen Anforderungen führt uns in die Grundlagen der Fächer: die Kerncurricula (hier: des Landes Niedersachsen). In den einzelnen Kompetenzbereichen sind erforderliche sprachliche Kompetenzen der Lernenden zumeist explizit, zumindest aber implizit ausgewiesen. Wenn Sie diese Anforderungen, die häufig als Lernziele oder in Form von Operatoren formuliert sind, kennen, wissen Sie auch, welche sprachlichen Verstehensleistungen und Handlungen von Ihren Lernenden gefordert sind. Folgender Satz ist als Bildungsbeitrag des Faches Mathematik im niedersächsischen KC für die Hauptschule zu finden: 

"Die Schülerinnen und Schüler erhalten Gelegenheit, die Bildungssprache und die Fachsprache sorgfältig aufzuarbeiten, adressatengerecht zu verwenden und folglich das Sprachbewusstsein zu schärfen." (S. 5)

Es geht also nicht nur in den "offensichtlichen Sprachfächern" darum, die Lernenden zu Sprachhandlungen zu befähigen, sondern fachsprachlich in allen Fächern. Als Lehrkraft ist es also zentral, die unterschiedlichen sprachlichen Register hinsichtlich ihrer Verwendung und Eigenschaften transparent zu machen sowie den Lernenden ausreichend Raum für sprachliches Ausprobieren zu geben, sodass sie lernen, flexibel und angemessen zwischen den Registern zu wechseln. 

Zusätzlich zur natürlichen Sprache, in unserem Fall die Unterrichtssprache Deutsch, kommt in der Mathematik noch eine zweite, nämlich die formale Sprache hinzu, welche ebenso im Hinblick auf ihre Besonderheiten erlernt werden muss (ebd. S. 9). 

Innerhalb des prozessbezogenen Kompetenzbereichs wird von den Lernenden erwartet, dass sie "mathematische Gedanken unter Verwendung der Fachsprache schlüssig und klar" mitteilen können (S. 14). Das ist nur möglich, wenn die entsprechenden Fähigkeiten durch die Lehrkraft angebahnt und ausgebaut werden - zum Beispiel, indem die Lehrkraft als sprachliches Vorbild agiert und den Lernenden so sprachliche Muster zum Ausprobieren an die Hand gibt. 

Operatoren, die im KC Mathematik gehäuft vorkommen, sind (neben den offensichtlichen wie rechnen und umwandeln) unter anderem erläutern, deuten, beschreiben, erklären und beurteilen - alles komplexe sprachliche Handlungen, für die entsprechendes Handwerkszeug vermittelt werden muss. Zudem gibt es hinsichtlich der Operatoren entscheidende Bedeutungsunterschiede zwischen den Fächern, welche thematisiert werden müssen. Hier bietet sich kontrastive Spracharbeit an, indem die Definitionen der Operatoren verschiedener Fächer verglichen werden.

So gibt es unterschiedliche Bedeutungsnuancen für den Operator beschreiben, hier exemplarisch aufgezeigt an den Fächern Mathematik und Geschichte: 

Geschichte

strukturiert und fachsprachlich angemessen Materialien vorstellen und/oder Sachverhalte darlegen

(Quelle: https://cuvo.nibis.de/cuvo.php?p=download&upload=213, S. 40)

Mathematik

Daten, Objekte oder Sachverhalte in strukturierter sowie in fachlich sachgerechter Form mit eigenen Worten wiedergeben

(Quelle: https://cuvo.nibis.de/cuvo.php?p=search&k0_0=Fach&v0_0=Mathematik&k0_1=Dokumentenart&v0_1=Kerncurriculum&k0_2=Schulbereich&v0_2=Sek+I&, S. 60).

Die kursiv geschriebenen Begriffe zeigen die inhaltlichen Ähnlichkeiten der beiden Operatoren. Ein zentraler Unterschied besteht in dem Zusatz "mit eigenen Worten", welchen wir in der Mathematik finden und welcher in Geschichte fehlt. Hinzukommt, dass wiedergeben und darlegen in einigen Fächern wiederum eigenständige Operatoren sind, was zusätzlich verwirrend sein kann, da hier Operatoren durch Operatoren definiert werden. Eine Annäherung an die mit den Operatoren verbundenen sprachlichen Anforderungen auf der Metaebene ist also in jedem Fall lohnenswert, um das Erwartete für alle transparent zu machen und Unstimmigkeiten zu klären.

In einem nächsten Schritt ist es dann interessant, sich die mit den Operatoren zusammenhängenden sprachlichen Produkte anzuschauen, welche die Lernenden anfertigen können sollen.
Im KC Deutsch für die Niedersächsische Realschule (2021) findet sich, wie in fast allen KC, eine Operatorenliste, aus der wir uns hier einen Auszug anschauen. In der linken Spalte ist der Operator aufgeführt, in der Mitte eine Paraphrasierung der erwarteten Schülerhandlung und rechts die Zuordnung zum/zu den jeweiligen Anforderungsbereich/en:

In der linken Spalte stehen die Operatoren, in der Mitte eine Paraphrasieren



Ein Beispiel: 

berichten - Bericht schreiben 
          • Nur Wichtiges wird aufgenommen, Nebensächliches lässt man weg.
          • Ein Unfallbericht ist sachlich; persönliche Gefühle bleiben unberücksichtigt. 
          • Unfallberichte enthalten nur Tatsachen. Vermutungen werden nicht geäußert. 
          • Ein Unfallbericht wird im Präteritum geschrieben. Ereignisse, die zeitlich noch vor dem Unfall liegen, stehen im Plusquamperfekt, z.B.: 
"Jeanette überquerte die Straße, nachdem sie sich umgesehen hatte."

(Cornelsen Verlag, Berlin, 2005. Aus: Deutschbuch 6., S. 73)


Es wird aus der einem Schulbuch entnommenen Definition deutlich, dass die Lernenden im Hinblick auf das Verfassen eines Berichts verschiedene sprachliche Ressourcen einbringen müssen. Sie müssen zum Einen entscheiden, was für den Unfallbericht wirklich wichtig ist und was vernachlässigt werden sollte. Dies kann durchaus subjektiv ausgelegt werden. Noch stärker trifft dieser Aspekt wohl auf die Gefühlslage bzw. die geforderte Sachlichkeit im Rahmen eines Berichts zu, da viele Kinder ein starkes Unrechtsempfinden haben und sich dementsprechend über Geschehenes urteilend äußern möchten. Zum Anderen müssen die Zeitformen der Verben bereits erlernt worden sein, sodass ein Bericht entsprechend korrekt verfasst werden kann. 
Zuletzt geändert: Montag, 24. Juli 2023, 11:12